Alois Hotschnig
Ludwigs Zimmer
Aus der Leitung kam Blut, doch das merkte ich erst an den Flecken im Handtuch.
Ich sah in den Spiegel. Das Gesicht und die Hände, der Hals, alles rot
und verschmiert.
Was ich vor Augen hatte, glaubte ich nicht, und versuchte, es ungeschehen zu
machen, indem ich es ignorierte. Ich drehte den Hahn auf und hielt das Gesicht
in den Strahl und den Hals, doch was war, ging nicht ab von der Haut.
Die alten Rohre, der Rost, die Dunkelheit macht mir was vor, dachte ich, und
ging in ein anderes Zimmer und versuchte es dort, doch aus jedem der Hähne
kam Blut, und die Krusten in den Becken begannen sich langsam zu lösen
dadurch, daß neue Flüssigkeit nachkam.
Mit einem Handtuch rieb ich mich ab, bis es schmerzte, davon wachte ich auf
und machte mich auf den Weg in den Keller, denn in dem Tümpel dort vermutete
ich den Grund meiner Ängste.
Das Tropfen hatte nicht aufgehört, wie denn auch, die Rohre waren undicht
und mußten ausgetauscht werden.
Doch zuvor war der Keller zu räumen. Das war allein nicht zu schaffen,
also holte ich Hilfe ins Haus. Was die Arbeiter für brauchbar hielten,
nahmen sie sich, ich hatte es ihnen erlaubt. Der Rest lag Stunden später
im Hof. Ein Lastwagen fuhr an den Haufen heran, und es war schon fast alles
verladen, als dem Mann auf der Ladefläche des Wagens ein prall gefüllter
Sack aus den Händen glitt und mir vor die Füße fiel.
Achtlos stieß ich ihn mit dem Schuh von mir weg, dabei brach er auf, Papier
quoll heraus, und die Arbeiter waren noch nicht aus dem Haus, lag es auch schon
ausgebreitet vor mir auf dem Tisch. Zunächst war ich nur an den Fotos interessiert,
die ich unter all den Zetteln herausgesucht hatte. Das Rosental, Maria Elend,
St. Jakob, Rosenbach. Bahnhöfe, Scheunen und immer wieder der Wald um die
Dörfer herum. Feistritz, Unterbergen, das Loibltal und die Karawanken,
der Loibl-Paß und der Tunnel, durch den ich immer wieder nach Slowenien
gefahren war.
So lange veränderte ich die Position der Bilder zueinander, bis ich sie
endlich als Wegmarken einer Strecke erkannte, die von Landskron ausging und
am Loibl zu Ende war.
Der Großteil meines Fundes war verfaultes Papier aus der Zeit des Krieges
und aus den Jahren danach. Herausgerissene Seiten aus Büchern, handschriftliche
Notizen und Zeitungsausschnitte mit Berichten über diesen Tunnel und über
ein Arbeitslager der Waffen-SS, von dessen Existenz ich erst durch diese Artikel
erfuhr.
Häftlinge aus diesem Lager haben den Tunnel gebaut, las ich jetzt. In Mauthausen
hatte man sie für diese Arbeit selektiert und auf den Loibl gebracht, politische
Gefangene, zunächst in der Mehrzahl Franzosen. Die Verbindung nach Jugoslawien
war das Ziel und Vernichtung durch Arbeit. Beides trieb man voran. Nachschub
kam aus Mauthausen, davon brauchte man viel, denn schon bald war das Lager zu
klein, und es wurde ein zweites Lager gebaut, von Mauthausen aus wurde geliefert,
das Material waren Polen, Jugoslawen und Russen, Österreicher und Deutsche,
Belgier, Norweger, Ungarn, Algerier, Spanier, Griechen.
Geliefert wurde auch in die andere Richtung, Arbeitsunfähige schickte man
nach Mauthausen zurück zur Vernichtung.
Wer nach Mauthausen kam oder ins Krankenrevier, auf die Ambulanz, wurde vom
Lagerarzt vor Ort bestimmt.
Schönes Sterben, sagte der Jahre später, Injektionen ins Herz mit
Benzin. Es ging alles sehr schnell, Transport in das Krankenrevier, Narkose
und Injektion.
Auf dem Scheiterhaufen wurden die Toten verbrannt.
Das Lager war in einen Berghang gebaut. Jeden Tag von dort aus diesen Berghang
hinauf und zum Tunnelvorplatz, der gefürchtet war wie sonst nur die Ambulanz,
denn dort wurde vor allem getötet.
Die Körper der Toten lagen dort bis zur nächsten Schicht, sichtbar
für alle, am Abend hat dann das Feuer gebrannt.
Vom Tunnelvorplatz in den Tunnel hinein, in die Schicht, und dann wieder heraus,
an den Toten vorbei, und mit einem Felsbrocken auf dem Rücken den Abhang
hinunter ins Lager.
Die Capos waren angehalten, zu schlagen, und dieser Aufgabe kamen sie nach,
mit Schläuchen, die mit Eisenspänen und Sand gefüllt waren.
In den Nächten wurden Ballette gegeben, zum Arbeitsausgleich. Nachgeholfen
wurde mit Peitschen und Schläuchen. Das Schreien war bis zu dem Bauernhof
in der Nähe des Lagers zu hören, den die SS zum Trinken und zum Tanz
mit den Mädchen aus der Gegend aufsuchte.
An den Samstagen ging der Lagerälteste mit den Blockführern auf die
Jagd. Zur Corrida.
Die Gefangenen hatten Gräben auszuheben und wieder einzuebnen nach einer
Zeit. Die Wärter schlugen dabei auf sie ein und eröffneten die Corrida,
indem sie ihre Opfer durch das Lager zu treiben begannen, zu einer Baracke und
in diese Baracke hinein, dann wurden die Türen und Fenster verriegelt,
die Opfer zog man aus und zerrte sie an einen Tisch in der Mitte des Raumes
und streckte sie über den Tisch und hielt sie an Händen und Beinen,
am Kopf, die Capos traten an sie heran und kamen ihrer Aufgabe nach, bis der
jeweilige Körper sich nicht mehr rührte, den zerrte man dann vom Tisch
und in eine Ecke des Raumes, und alles von vorn, ein Körper, der nächste,
ein Samstag, der nächste, und dann zum Appell und zur Arbeit.
Sportspiele. Gymnastik. Ballett.
Ende 44 war der Tunnel befahrbar. Drei Jahre später zeigten Fotos die Schergen
auf der Anklagebank.
Tod durch den Strang. Lebenslänglich. Zwanzig Jahre. Zwölf Jahre.
Freisprüche.
Lebenslänglich hieß ein paar Jahre, danach war es vorbei, das Land
mußte aufgebaut werden, und man wollte auf keinen verzichten, auch nicht
auf den Arzt aus dem Lager, der schon bald wieder seiner Arbeit nachging.
Ich wußte nicht, wie ich umgehen sollte mit meinem Fund, doch kam ich
davon nicht mehr los. Jemand aus meinem Haus hatte sich über Jahrzehnte
mit diesem Lager und seiner Geschichte befaßt und diese Unterlagen zusammengetragen,
und wer immer das gewesen sein mochte, es war nicht Georg allein, denn der größte
Teil stammte aus der Zeit nach seinem Tod. (Auszug)
[kolik ]