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Thomas Ballhausen


VerKLAMMERt;
ein Rezept


Ein sich wieder Gegenübersitzen; Da-so-dahinschweigen, weil man sich ja nichts mehr zu sagen hat, wozu denn auch. Lieber eine Form der Reduktion betreiben, die strengste und extremste, die man sich vorstellen kann, also eine Verkürzung auf KÖRPER. Mit dem besitzergreifenden Tasten nach ihrer Hand, dem peinlichen Gleiten über ihren Arm, dann erst hält er sie an der Schulter fest. Dabei drehen sie beide die Köpfe zur Seite, wie in geheimer Verschwörung vereint. Sie dreht, windet sich, ABER nur mit dem KOPF, denn ihr Körper scheint ihr vollkommen egal zu sein – da kann sie ihn ebenso gut an ihn abgeben, ihm ihren kleinen Puppenkörper vollkommen überlassen. Wenn er auch nicht genau weiß, was er nun damit anstellen soll, denn: was ist noch auszuprobieren, welche Pose hat er ihr vergessen aufzuzwingen. Die Narben an ihrem Hals glänzen im Licht, da wo einst die Drähte waren. Er möchte wieder die Hände zucken lassen, sie so spielend über die Bühne schleifen. Da BESASS er sie so, wie er sie wollte. Und da war auch keine Sprache in ihrem Tanz, da war nur die Bewegung, ein FLIESSEN. Wozu Sprache, denkt er, wozu das alles, es schweigt sich soviel leichter, besser. Mein einziger Haß entspringt meiner einzigen Liebe, denkt sie, und sie möchte kichern, lachen, aber nicht jetzt: vielleicht SPÄTER, oder auch gar nicht. Macht ja nichts, macht nichts. Das ist schon in Ordnung, DOCH DOCH das gefällt mir, sehr. Wenn es nur aufhören würde, könnte ich mich daran erinnern, und es nach einiger Zeit vielleicht sogar gemocht haben; dann, wenn ich alles andere daran vergessen hätte. Das widerwillige Heben des Armes, das Herabsinken auf seine Schulter, denn der Wunsch nach dem Besitz ist stärker als die Abneigung, stärker als der Ekel. Sogar die NÄHE wird ganz einfach erträglich dadurch, die Gier nach dem Besitz, nach dem anderen Wesen, ist so süß. Er legt den Kopf auf ihre Knie, kauert sich hin, denkt an Mutter und daß wohl alles wieder gut wird: gut werden MUSS. Nicht wahr: Mutter, Du verzeihst mir doch und alles wird wieder gut. Sie streicht über sein Haar, und sie zuckt nicht gleich zurück, nein. Denn sie beherrscht sich, ein für sie sehr fremdes Gefühl: dieses Sich-selbst-beherrschen. Das machen sonst immer die anderen; und sie streicht durch das Haar und versucht nicht zu denken, doch der Kopf schaltet sich ein. Obwohl sie sich nur selten treffen, wird es immer gerade dann notwendig, einander klar zu machen, wie unglücklich man ist, damit man dann doch Stoff zum REDEN hat, damit der kleine Wortvorrat doch noch in das Elend der Körper eingeflochten werden kann, damit dann, wenn man dann erwacht, man sich zumindest einreden kann: doch, doch. Das war alles sehr produktiv, das hat uns alles sehr viel weiter gebracht. Und auch unser Vertrauen, jaja. das ist nun größer und stärker und tiefer und AMEN. Und sie streicht durch sein Haar, und es fühlt sich wie das Haar eines anderen an, und sie denkt bei sich: Ja. Ja, Vater, ich vergebe Dir, denn Du hast gesündigt, ja Vater, denn ich habe ja keine Wahl, natürlich nicht VATI. Sie streicht fester und fester, er fühlt seinen Kopf in Flammen aufgehen, er fühlt sich BRENNEN, wie angenehm. Leicht verkohlt, so fühlt er sich am ALLERBESTEN, so fühlt er sich am nächsten Morgen, wenn er dann aufspringt, weil er es nicht erträgt, so neben ihr und sich fragt: WAS ist da wieder passiert, und was habe ich gefragt und geantwortet, wann bin ich eingeschlafen und was habe ich mit ihr gemacht, während ich träumte. Denn: sie blickt so, als hätte ich. Wenn ich aufhöre, ich zu sein, werde ich sie sein, und das will ich dann doch nicht. Der Prozeß der Entmenschlichung schreitet schon rasch genug voran, ja, das ist rasch genug, nun schneller, schneller, und er greift nach ihr, verkrallt sich. So leicht ignoriert sich ein schmerzverzerrtes Gesicht, doch diesmal wird es anders sein, er weiß das schon irgendwie. Die eiserne Jungfrau mit ihren nach innen gewandten Dornen thront über ihm und er weiß es, er WEISS es, was kommen muß. Doch lieber will er sich verschlungen sehen, als von ihr ausgespuckt – SCHON WIEDER – lieber soll sie ihn ganz verschlucken, alles hinunter und WEG. Einsamkeit, das wäre dieses Ausspeien auf schmutzige Laken, die er vergessen hat zu wechseln, diese quälende Einsamkeit, die er sich vorstellt, die ihn schon wieder packt, da, DA, wo es wirklich schmerzt. Gierig schlingt sie ihn in sich, kennt kein Halten und kein Wehklagen mehr, aber es soll anders sein, diesmal. Und sie nimmt sich nicht die Zeit zu kauen, auch nicht zaghaft, sie schluckt und würgt, schaufelt ihn mit den Händen in sich, drängt ihn in ihren Mundraum. Er fühlt sich hineingezogen, und das Unbehagen und die Lust wechseln sich ab, während er beobachtet, wie sich ihr Mund über ihm schließt. Das Licht wird nun ausgesperrt, wird nun GESPART, ganz so wie es sich der Kaiser wünscht. Da sieht er es noch kurz durch Wangen und LIPPEN schimmern, und wie es sich an der vordersten Reihe ihrer Zähne, dieses Revolvergebisses, bricht. Dunkelheit und Magensaft umgeben ihn, und er taucht ein, immer mehr, sie würgt, aber nicht ihn hinaus, sondern: HINEIN und vor allem hinunter. Hingekrümmt in ein wohlig-warmes Exil, da wird das Auflösen besonders leicht und das Vergessen und schließlich: das EINTAUCHEN. Nein, besser noch genauer. Also: ein Untertauchen in den übelriechenden See. Tief einatmen, sich im Verlauf dieses Prozesses schließlich selbst hinunterschlingen, wie es ihn ekelt, wie schlecht er schmeckt; so etwas kann er ja erst jetzt bemerken. Einatmen und ausatmen, und ausstoßen; und sich ergießen und erbrechen gleichzeitig, das ist die wahre Liebe, nicht. Ihr Hals schmerzt noch von dieser Zuneigung, ja und der Kiefer hängt schief wie bei einer betagten Schlange. Beständig leckt sie mit der Zunge über die Lippen, sie schmeckt das Blut, ein paar Zähne zerbrochen, na wenn schon. Jetzt ist sie glücklich, so über seine Leiche kann sie getrost glücklich werden. So ist sie zufrieden, so prall gefüllt mit ihm: vorsichtig streicht sie über die gespannte Bauchdecke. Da rührt sich nun nichts; das Gefühl zu besitzen, zu HABEN, stellt sich endlich ein und macht den Schmerz mehr als wett. Sie geht in die Knie, wo sie doch so schrecklich glücklich ist, und auch immer noch so VERLIEBT. Und dann kann sie auch kichern, lachen. LACHEN

[kolik 15]