Andreas Ungerböck
Deux ou trois choses que je sais de lui
Begegnungen mit Werner Kofler
Als ich den Namen Werner Kofler zum ersten Mal hörte, war das passender
Weise im Radio. Ich lag oder saß, wie so oft, vor dem elterlichen Radio
und hörte die „subversive“ Ö3-Sendung Musicbox. Es mag
1975 gewesen sein, und es könnte die Stimme des nachmaligen Museumsdirektors
(Ö3-Moderatoren werden gerne Museums- oder Zirkusdirektoren) Wolfgang Kos
gewesen sein, die mir diesen Namen ins Ohr schnurrte, samt einem Ausschnitt
aus einem Buch, das minuziös eine Kindheit und Jugend in Kärnten aufarbeitete,
und das Guggile hieß. Wahnsinn, dachte ich, der traut sich was, erstens
überhaupt, und zweitens kam in diesem kurzen Ausschnitt auch das Wort „Fut“
vor. Das war meine erste Begegnung mit der neueren österreichischen Literatur,
und seltsamerweise sollte auch, viel später, bei einer meiner ersten Begegnung
mit dem neueren österreichischen Film, 1987 in Wels, bei den später
vom Unterrichtsminister Scholten abgewürgten Österreichischen Filmtagen,
das F-Wort eine Rolle spielen. Ein mir namentlich noch nicht bekannter, aber
damals wie heute national und international hoch geschätzter Avantgardefilmemacher
gebrauchte es und versetzte mich in Erstaunen – also „auch die“…
Über die Schwierigkeiten, sich dem Autor und der Person Kofler anzunähern,
ist andernorts berichtet worden (so sei der Spiegel-Autor Christian Schultz-Gerstein
beim Versuch eines Porträts über den Satz „Werner Kofler ist
ein komischer Autor“ trotz mehrerer Ansätze nicht hinausgekommen1,
eine Geschichte, die Kofler auch mir erzählte). Woran das liegt, ist klar:
Nur allzu leicht erliegt man dem Missverständnis, nach der Lektüre
unzähliger oder gar aller Werke Koflers wisse man „alles“ über
ihn, gibt es doch kaum einen Autor, der die eigene Autobiografie und die eigene
Befindlichkeit scheinbar so lücken- und schonungslos ausstellt, in immer
neuen Anordnungen, mittlerweile (wie z. B. in seinem neuesten Buch Kalte Herberge)
auch in Erinnerungen, in Rückblenden, fast schon gesampelt, eine Technik,
die Kofler, trotz der von ihm patentierten Methode der „kritischen Ignoranz“
anderen Kulturerzeugnissen gegenüber, zweifellos kennt. Dass die Annahme,
man kenne jemanden aus seinen Büchern, Unsinn ist, diesen Schock muss man
erst einmal verdauen, dabei lässt Kofler schon 1980, in Aus der Wildnis,
keinen Zweifel daran: „Sagt der Leser: Literatur, sagt der Autor: Wirklichkeit;
Sagt der Leser: Wirklichkeit, sagt der Autor: Literatur“, heißt
es dort unmissverständlich noch vor dem Inhaltsverzeichnis. Es ist also,
trotz aller biografischen Bezüge, eine Kunstfigur, die Kofler immer wieder
neu schafft, mag sie nun K., Kirsch, Keuner, Herbst oder „der Autor“
heißen.
Den realen Kofler zu treffen, den oder dessen Kunstfigur man 30 Jahre lang „nur“
aus der Ferne beobachtet hat, mit großem Vergnügen, den man vielleicht
mal kurz aus den Augen verloren hat, um ihn später umso heftiger wiederzuentdecken,
ist noch einmal etwas ganz Anderes. Da schlägt das kleine Filmjournalistenherz
schneller, da nützt alle Routine nichts. Was sind schon John Malkovich,
Robert Mitchum, Goldie Hawn, Samuel L. Jackson, Dennis Hopper, Brian de Palma
und wen man sonst noch alles interviewt hat, gegen den Sprengmeister aus Villach,
der (war nicht Nobel der Erfinder des Dynamits?) doch auch einmal den Literaturnobelpreis
kriegen müsste, er, der Preise sammelt wie andere Treuepunkte bei Billa.
Ist er nicht Kärntner wie Handke? Hat er nicht in der Steiermark reüssiert?
Hat er es nicht, kürzlich erst, erfolgreich vermieden, dem Bärentaler
die Hand zu schütteln? Nicht hinfahren kann er immer noch. Dass es ausgerechnet
der 100. (eigentlich der 101.) Bloomsday ist, an dem ich ihm zum ersten Mal
begegnen werde, macht die Sache nicht einfacher, das Gewicht der literarischen
Welt lastet umso stärker. „Café E., 16 Uhr“, so lautete
die präzise, knappe Anweisung. Mit meinen vorbereiteten Fragen komme ich
schön an, das war zu erwarten. Man weiß, dass Kofler Interviews hasst
(es gibt auch kaum welche), und man weiß, dass er als schwierig gilt,
brummig, wortkarg. Wer immer solche Einschätzungen verbreitet, er hat Unrecht:
Kofler beantwortet alle Fragen höflich und geduldig, wenn auch ohne übermäßige
Begeisterung. Die Frage, was er als nächstes schreiben werde (eine blöde
Frage, gewiss, aber in der Filmpublizistik ein Klassiker), behagt ihm gar nicht.
Mir wird klar, dass das so nicht gehen wird, und Kofler spricht das auch aus.
Man werde sich schon etwas weniger Abgefrühstücktes suchen müssen,
sagt er. Wir einigen uns auf Film, was ja auch naheliegt. Wir treffen uns also
öfter in den nächsten Monaten, und es gibt tatsächlich so etwas
wie eine Annäherung, schweigsame Menschen, die wir sind. Kofler ist alles
andere als schwierig. Er ruft zurück, wenn er sagt, dass er zurückruft,
er hält die Termine ein, er ist nie schlecht gelaunt, und wenn, dann lässt
er es sich nicht anmerken. Ich staune, denn als Filmjournalist ist man selbst
von Leuten, die ihm nicht annähernd das Wasser reichen können, anderes
gewohnt.
Koflers Art zu schreiben, das hat Arno Rußegger ausführlich dokumentiert2,
orientiert sich häufig an filmischen Erzählstrategien, am deutlichsten
ersichtlich vielleicht in einigen drehbuchartig formulierten Passagen von Am
Schreibtisch. Nicht von ungefähr hat er einen Teil, den letzten dieser
„Alpensagen / Reisenbilder / Racheakte“, selbst zu einem 30-Minuten-Schwarzweißfilm
(Im Museum, 1993) gemacht, mit Untertützung des Kameramannes Bernd Neuburger
und der Cutterin Eliska Stribova. Nach einigen wenigen Aufführungen (unter
anderem bei der Diagonale 1993) verschwand der Film, leider, in der Versenkung,
aus der er dieser Tage, bei der Diagonale 2005 wieder geholt wird, im Rahmen
des Filmarchiv-Austria-Projekts Filmhimmel. Welcher Film könnte besser
geeignet sein als Gegenpol zum erwartbar unerträglichen „Gedankenjahr“
2005? Der Film handelt von Koflers Besuch in einem fiktiven Museum der deutschen
Geschichte, geschrieben, bitteschön, 1988, also ein Stück Prophetie,
das nicht nur die Wende vorwegnimmt, sondern auch die qualvollen langjährigen
und immer noch anhaltenden Diskussionen um das „Wie erinnern?“.
Aber nicht nur das, sondern auch die von Kofler entworfene scheinbar wahnwitzige
Aufarbeitung von Geschichte „als Erlebnisraum“, mit Hilfe von Nachinszenierungen,
Raum-in-Raum-Installationen des Schreckens, der Eventcharakter von allem und
jedem: das ist heute bittere Museums- und Kunstvermittlungsrealität. Ja,
selbst von einem „Risikourlaub im Konzentrationslager“, wie ihn
einst schon die Sex Pistols in Holidays in the Sun besangen („I don’t
want a holiday in the sun, I wanna go to the new Belsen, I wanna see some history“)
sind wir nicht weit entfernt, wenn man sich deutsche Reality-TV-Shows heute
anschaut. (Prophetisch, das nur nebenbei, war Kofler schon 1983 mit seinem hoch
dekorierten Hörspiel Oliver, das alle Casting-Shows, alle Spendenkeilerei
und allen Zynismus, dessen die TV-Branche heute fähig ist, vorwegnimmt).
Im Museum ist eine Art Sprechfilm, alle Konzentration gilt dem Text, die Bilder,
ein Gang mit meist subjektiver Kamera durch eine Schneelandschaft (den Ort des
zu errichtenden Museums), lenken nicht vom Text ab, so wie das thematisch verwandte
Tanzcafé Treblinka (2001) dezidiert ein Sprechstück ist, mit minimaler
Ausstattung.
„Der Film entstand am Schneidetisch“, sagt Kofler, bis heute Godard-Verehrer,
wenngleich er sein Postulat „Schreiben, wie Godard Filme macht (Es geht.)“3
später hierorts, in der Kolik, widerrufen hat. Die Filmleidenschaft des
Autors manifestiert sich in fast allen seinen Texten, schon in Guggile war der
stolze Ministrant Kofler bei der Hochzeit der „heimischen Filmschauspielerin
Heidelinde Weis mit einem Berliner Filmproduzenten, mit Hildegard Knef als Trauzeugin“
dabei. Eigene Kinobesuche waren zunächst, „anders als bei den ‚Stiazlakindern’“,
nur mit der Mutter („Wenn sie dich nach dem Alter fragen, werde ich nicht
lügen“) möglich, Spartacus etwa, oder Quo vadis. Später,
als er an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt studierte, war er jeden Donnerstag
im Filmclub bei Horst-Dieter Sihler, einem „väterlichen Freund und
Mentor“. Er radelte hinaus zu den Heide-Lichtspielen, wo eine elitäre
Gruppe („jedes Mal die gleichen fünf bis zehn Hansln“) sich
dem europäischen Autorenkino ergab, aber nicht nur, „manchmal gab
es auch leichtere Kost, z. B. von Philippe de Broca.“ Im Gedächtnis
geblieben sind ihm unter anderen Roman Polanskis Ekel, Masaki Kobayashis Harakiri
(1962) mit Tatsuya Nakadai in der Hauptrolle, die Filme von Antonioni und Jean-Marie
Straub, der 1967 zum Jugendkulturtreffen in Innsbruck kam. Dort hat Kofler Die
Chronik der Anna Magdalena Bach gesehen.
Nach den Filmclub-Abenden sei man in die Stadt zurückgefahren, ins noble
Hotel Moser Verdino, in dem es sogar schon einen Fernseher gab, und habe dort
über die Filme diskutiert. Kofler erzählt von einer Fernsehsendung
der 60er Jahre namens Die drei W, die mich schließlich so neugierig macht,
dass ich darüber zu recherchieren beginne. Darin wurde von drei prominenten
Kritikern (Hans Winge von der Presse, Fritz Walden von der Arbeiter-Zeitung
und Rudolf Weishappel vom Kurier) nicht nur das übliche Hollywood-Kino
abgehandelt, sondern auch künstlerisch anspruchsvolle Filme. Meine Recherche
ergibt, nicht unbedingt überraschend, dass der ORF das gesamte Sendematerial
gelöscht hat. Wie zum Hohn ist auch das Kinotagebuch, das Kofler zu jener
Zeit geführt hat, leider – unwiederbringlich – verloren. Die
Filmleidenschaft begleitete ihn auch nach Wien, wo er sich Retrospektiven von
Truffaut und Godard anschaute (One Plus One, allerdings, wie in Aus der Wildnis
so schön nachzulesen ist, eher wegen der Rolling Stones, und dann das!),
im legendären Z-Club zu finden war, Fassbinder-Filme sah, und natürlich
auch Filmschaffende und Fernsehleute kennen lernte.
So war es nahezu unvermeidlich, dass auch Werner Kofler von Ernst Schmidt jr.
zu einem Beitrag für seinen Kompilationsfilm Wienfilm 1896–1976 aufgefordert
wurde, ein Segment, über dessen Entstehung Kofler in Ida H. (1978) ausführlich
Auskunft gibt: „Herbst [= Kofler] hatte einen Beitrag über Steinhof
vorgeschlagen: die Anstalt von außen, als Abfolge schöner Bilder,
Ablichtung einer erholsamen Parklandschaft, während, als Ton zu diesen
Bildern, der Bericht von Ida H., einer ehemaligen Insassin, über das Drinnen
zu hören ist; die Geografie eines Erholungsgebietes als Bild, die Geografie
eines Krankensaales als Ton. Das Wetter war für Aufnahmen hervorragend
geeignet; ein klarer, trügerisch heißer, hinfällig schöner
Tag Anfang Oktober.“ So weit, so gut, es wurde gefilmt, auch in der Arena,
Koflers damals sechsjähriger Sohn Brendan erklärte vor der Kamera
das Wesen der Fotografie, aber an dem Abend, als der Film im Fernsehen ausgestrahlt
wurde, fehlte Koflers Segment: Der ORF hatte es unter dem Vorwand, das Objektivitätsgesetz
werde verletzt, man müsse auch die Ärzte zu Wort kommen lassen, einfach
herausgeschnitten. Ernst Schmidt jr., so Werner Kofler, habe davon gewusst,
habe aber nicht den Mut aufgebracht, es ihm zu sagen. Seit damals, so der Autor,
sei er mit dem Fernsehen übers Kreuz – nicht mit dem Radio, denn
Kofler zählt bekanntlich zu den erfolgreichsten Hörspielautoren in
der Geschichte des Österreichischen Rundfunks.
Das Fernsehen der späten 70er und frühen 80er Jahre ließ für
die österreichischen AutorInnen dieser Zeit einiges erhoffen. Man schrieb
die Geburtsstunde des höchst erfolgreichen Fernsehspiels oder Fernsehfilms,
in der Aufbruchstimmung der Kreisky-Ära schienen plötzlich Dinge möglich,
die zuvor undenkbar waren. (Auch) progressive AutorInnen und FilmemacherInnen
sollten ein Betätigungsfeld erhalten: „Der österreichische Film
findet im ORF statt“, wie es Gerd Bacher 1981 so vollmundig formulierte,
im selben Jahr, als – nach vielem Hin und Her – das österreichische
Filmförderungsgesetz in Kraft trat und das Österreichische Filminstut
gegründet wurde. Hauptabteilungsleiter im Fernsehspiel war von 1973 bis
1994 Gerald Szyszkowitz, und in die erste Hälfte seiner Ära fallen
einige der bemerkenswertesten Produktionen des neueren österreichischen
Films. Viele dieser Produktionen waren Verfilmungen aktueller Literatur (wie
etwa Fritz Lehners Der Jagdgast, 1978, nach einer Erzählung von Gernot
Wolfgruber, 1978, oder Schöne Tage nach dem Roman von Franz Innerhofer,
1981). Dazu kamen erste Arbeiten von heute noch Ton angebenden österreichischen
Autoren/Regisseuren wie Michael Haneke, Dieter Berner, Reinhard Schwabenitzky,
Franz Novotny und anderen. Es war die Zeit des Mundl und des Kottan, der (aus
heutiger Sicht allerdings überschätzten) Alpensaga, und auch im Kino
tat sich Bemerkenswertes, wie Peter Patzaks Kassbach (1978) oder Novotnys Exit…
Nur keine Panik (1979).
Mitten in diese Zeit hinein, als man auch Institutionen wie die Psychiatrie
heftig zu hinterfragen begann, schrieb Werner Kofler 1978 seine „Krankengeschichte“
Ida H., jenes seiner Werke, das am ehesten einem „richtig langen“
Roman gleicht, und das er heute für „gefährlich nah am Realismus
angesiedelt“ hält. Kein Wunder also, zumal nach dem Erfolg von Ida
H., dass von Seiten des ORF die Begehrlichkeit entstand, Kofler möge sein
Buch für den Film adaptieren. Um es kurz zu machen: Die Sache endete wie
das Hornberger Schießen, das Exposé wurde von Seiten des ORF plötzlich
abgelehnt, obwohl ein Drehbuchauftrag schon so gut wie ausgehandelt war. Kofler
fühlte sich im Regen stehen gelassen, der damalige Redakteur Wolfgang Ainberger
sagt, er habe Kofler immer wieder ermuntert, für die Ablehnung durch Szyszkowitz
könne er nichts. Wie man sich den Umgang zwischen weniger glücklichen
Autoren jener Zeit und dem ORF vorzustellen hat, schildert Kofler plastisch
in dem Prosastück Neue Filmkunst, Radio Bagdad (ursprünglich erschienen
in wespennest, Nr. 35, 1979), in dem der Protagonist Keuner heißt. Diese
Schilderung ähnelt auf verblüffende Weise, bis in Details, bis zu
einzelnen Zitaten, derjenigen, die Gustav Ernst (Deckname: Korsch) in seinem
im selben Jahr erschienenen Roman Einsame Klasse gibt. Kofler schrieb das Drehbuch
dennoch und sagt, es habe schon Besetzungsvorschläge gegeben: Ingrid van
Bergen, eben aus dem Gefängnis entlassen, hätte die Ida, Diether Krebs
ihren mysteriösen Nachbarn Übersohn spielen sollen, Michael Töteberg
vom Filmverlag der Autoren habe sich sehr für das Projekt engagiert, aber
irgendwann sei klar geworden, dass daraus nichts mehr werde.
Im Zuge unserer Begegnungen übergibt mir Werner Kofler schließlich
das Drehbuch, einen „Ziegel“ von 125 Seiten, getippt wohl auf einer
der „Schreibmaschinen verschiedenen Kalibers“ (Am Schreibtisch).
Mir! Die Ehre! Er wolle, so Kofler, doch noch einmal versuchen, das Drehbuch
unter die Leute zu bringen, ob ich da etwas machen könne. Ich lese es noch
am selben Tag, denke, ein Drehbuch zu lesen, da ist doch nichts dabei. Aber:
Da es ein Koflersches Drehbuch ist, ist es selbstverständlich nicht nur
ein solches, sondern darüber hinaus ein Kunstwerk, ein Gesamtkunstwerk
– die Geschichte der Ida H., wie sie in Koflers Buch steht, aber kondensiert,
verknappt einerseits, andererseits natürlich künstlerisch überarbeitet,
eine Art Remix. Wer Augen hat, der lese: Es steht ja auch nicht „Drehbuch“
auf dem Deckblatt, sondern „Protokoll eines noch nicht realisierten Spielfilms“.
Und weil es von Kofler ist, ist auch nichts dem Zufall überlassen: präziseseste
Schauplatzbeschreibungen (die Anweisungen, wie Idas verwahrloste Wohnung im
Wohnpark Alt-Erlaa auszusehen habe, umfasst drei Seiten, darunter die Angabe
des Datums auf dem Kalender) und Personencharakterisierungen, detaillierte Anweisungen
zu Regie – „Die Darsteller sprechen kein regionales Idiom (von den
bezeichneten Ausnahmen abgesehen), sondern eine neutrale ‚Film-Sprache’
(die wiederum nicht mit einem Bühnendeutsch zu verwechseln ist.“)
– und Musik: „Brahms-Zitate: Bestimmte Takte aus den ersten Sätzen
des Violinkonzerts und der ersten Symphonie können zu bestimmten Situationen
(plötzlichen, überraschenden?) eingesetzt werden, kurz und präzise.
(Beispiel: Der Einsatz bestimmter Momente aus Schumanns dritter Symphonie in
Made in U.S.A. von Godard.)“ Die Anklänge an Alfred Hitchcocks Psycho
sind ebenso überdeutlich wie erwünscht (Übersohn, der mit seiner
„Mutter“ in der Wohnung neben Ida wohnt; nie sieht man den Mann
und die Mutter gleichzeitig, bzw. man hört die Mutter immer nur aus dem
Off, aber nur, wenn Übersohn nicht im Bild ist.), ebenso die an Roman Polanskis
Ekel. Den „realistischen“ Kern des Romans hat Kofler auf virtuose
Weise entschärft, indem er die Geschichte nahezu nahtlos ins filmische
Genre des Psycho- oder Paranoia-Thrillers überträgt. Die Charaktere,
auch Ida, sind so „filmisch“, so deutlich als Kunstfiguren gezeichnet,
dass sie als „reale Personen“ kaum noch wahrnehmbar sind. Dem entsprechend
ist gegen Ende auch eine Metaebene eingezogen, in der Film (im Film?), Idas
Wahnvorstellungen und die so genannte Realität endgültig ununterscheidbar
werden. Der Film würde, das ist klar, ganz stark von der Schauspielerin
abhängen, die die Ida spielt. Isabelle Huppert fiele einem sofort ein,
wenn sie nicht schon etwas zu alt und wenn es nicht so abgeschmackt wäre.
Martina Gedeck? Heike Makatsch? Wer auch immer: Es gibt, so viel steht fest,
keinen Grund, warum dieses Drehbuch – nach ein bisschen Arbeit daran –
heute nicht mehr verfilmt werden könnte. Soll eben Übersohn ein Mobiltelefon
haben, wenn damit das Geschehen in die Gegenwart verlegt ist; man kann es aber
(die teurere Variante) genau so gut in den 70er Jahren belassen. Anfragen an
den Autor.
1 Antonio Fian, Lehrer Kofler, in: Werner Kofler. Texte und Materialien. Herausgegeben
von Klaus Amann, Wien (Sonderzahl) 2000, S. 28ff.
2 Arno Rußegger, Koflers „Filmscripts“, in: Werner Kofler.
Texte und Materialien. Herausgegeben von Klaus Amann, Wien (Sonderzahl) 2000,
S. 190ff.
3 Werner Kofler, Notizblock, in: Werner Kofler. Texte und Materialien. Herausgegeben
von Klaus Amann, Wien (Sonderzahl) 2000, S. 224.
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