Anselm Glück
ich kann mich nur an jetzt erinnern
(auszug)
also: tagsüber suchte ich nahrung, und die nächte verbrachte ich
im schutz der felsen. im herzen stellte ich mir ein schöneres leben vor.
ansonsten tat ich wie geheißen. köder hatte ich genug. während
der wintermonate erlitt ich eine art zusammenbruch, und zum erstenmal gönnte
ich mir einen freien tag. dann wieder, in immer rascherer der folge, abenteuer,
jahreszeiten und wein. ich machte mir skizzen. meine hunde, meine rinder, aus
einem stück holz wurde in meinen händen im nu ein bumerang, und es
dauerte nicht lange und die welt war mein. ich aß und trank, ich lachte
und sang und ich nahm mir vor, nie wieder nachzulassen. ich legte kleider an
und wechselte die muster immer öfter. bald wuchsen von allen seiten städte
aufeinander zu. eine bizarre szene jagte die andere. dennoch blieb ich alleine
und vermißte dabei nicht einmal eure komplimente. wegen der köder
brauchte ich mir keine gedanken mehr zu machen. sie lagerten gebrauchsfertig
und wurden schicht für schicht automatisch ausgelegt
2)
erst nach einigem zögern griff ich zu. ich verlor meine scheu, und bald
wunderte es mich, daß ich nicht noch mehr zusammenraffte. wahrscheinlich
aber war das gewicht ausschlaggebend
bei sonnenaufgang kam ich nach hause. wie, kann ich heute nicht mehr sagen.
sonderbarerweise aber hatte ich mir einen teil der beute mit einer schnur um
den leib gebunden, und im moment erinnere ich mich daran, daß ich stundenlang
zählte und wieder zählte. auf dem weg zum flughafen inspizierte ich
mehrmals mein handgepäck, und noch bevor der tag vorüber war, lag
ich, ein anderer geworden, in einer fremden stadt auf dem fußboden eines
hotelzimmers und bekam keine luft. ich hatte einen krampf und verspürte
stiche. - wieder erfrischt, ging ich aus. alles, schien mir, hing nur noch von
mir ab. ich unterhielt mich gut. mein zuhause bildete den mittelpunkt ausgedehnter
einkaufs- touren, und die ganze welt, jedenfalls kam es mir so vor, stand um
mich herum und wartete darauf, von mir bemerkt zu werden. aus meinen augen flogen
blicke, die ich schweifen ließ. ab und zu dachte ich an all die elenden
orte meiner vergangenheit zurück, mit dem beruhigenden wissen: unter meinen
rädern liegt fleisch. das dahinschwinden der tage und nächte und das
abflauen und wieder aufkommen des windes, der einem hier von der see her in
die haare fährt, empfand ich als einen besonderen reiz. mein mantel bauschte
sich. schon von weitem war ich leicht zu erkennen. meine freie zeit hielt mich
auf trab und mein chauffeur trug stolz und aufrecht meine farben
3)
oder:
als kleiner mann war ich briefträger. während des krieges drang ich
unter waffengewalt und auf befehl in ferne länder ein und benahm mich schäbig.
dann ging ich wieder zur see. ich sagte mir, "sei so gut wie möglich
und bessere dich ständig aus", und ich gab keine ruhe und setzte mich
oft und lange in verbindung. die rechnung ging mit der zeit auf und wurde mir
schritt für schritt ins verhalten gebleut. (das kann aber auch bloß
am wetter gelegen haben). - jedenfalls, die lichter über meinem kopf schlugen
die schatten zu meinen füßen, und alles bevölkerte sich undeutlich.
rund um mich, weltweit, ein losgetretenes trachten, und nacht für nacht
wurden wir, jeder für sich, ins bett zurückgelegt. hinter den augen
waberten gedanken, sie flochten bildfolgen ums herz und langsam aber sicher
kamen unsere eigenschaften zum zuge. wenn wir etwa allein waren, fühlten
wir uns überlegen, in uns aber lauerte der feind, der uns die ganze zeit
über schon zu boden riß. wir lagen fast und wanden uns kläglich.
- rest menschlichen webens, eingehüllt in tuche und vorübergehend
- schnellschnell - ins fleisch gepfropft, mit oben zwei augen und dahinter spiegellabyrinthen,
in denen die bilder, tiefer und tiefer, in immer knappere zeichen übergehen
[kolik ]