kathrin röggla
die berufsjugendlichen
nein, sie möchte keine berufsjugendliche sein, doch wer möchte das
auch sein? obwohl, man hört so manches. so richtig berufsjugendlich ist
sie ja auch nie gewesen, sie hat eben nur so ein bißchen mitgemacht. und
wo macht man das? in berlin, natürlich, das hat sie sich nicht ausgedacht,
das ist der stadt so inhärent. hier ist auch alles subversiv -
nein, eine berufsjugendliche sei sie nicht, aber dennoch durchstreife sie die
stadt mit dem fotoapparat: kieze! kiiiiieeeeze! kamikaaaaaze! hat sie da eine
fotosafari gemacht. abschießen das alles! im prater dann der lagebericht:
was es alles giiiiibt! sitzt man zwischen tausend touristen bei seinem bier
und hat eine erfahrung gemacht: in dieser stadt trifft man nur zwei sorten von
menschen an: touristen und menschen aus den neuen medien, bzw. ein paar politiker,
randgestalten der bürgerlichen gesellschaft. aber sonst nichts. ach ja,
das milljö. ein bißchen milljö muß auch irgendwo sein,
nur hier gerade nicht, denn allein harald-schmidt-reste dümpeln vor ihr
herum, aber das ist ihr gegenüber, der nennt das unterhaltung, dabei ist
es eher styropor (stupor).
er rede ja auch gerne über berlin, hat er eben gesagt, das gebe immer
einen feinen gesprächsstoff ab, aber im grunde habe er die meiste zeit
im sprinter verbracht, im sprinter frankfurt - berlin. er sei da hin- und hergefahren
und habe so manche interessante bekanntschaft gemacht. zum beispiel diese bankerin,
die hat er sich nicht ausgedacht, nein, sitznachbarin, könnte man beinahe
sagen. - sie sei bankerin, habe sie nach längerem zögern auch verraten.
- ach interessant, habe er darauf gesagt, er wäre ja mehr in der werbebranche
tätig, nämlich, nämlich - er und ein freund hätten kürzlich
eine werbeagentur gegründet, und zwar eine im internet! aber dem berliner!
- hat er gelacht, doch die hörte ihm längst nicht mehr zu, und auch
sein jetziges gegenüber hört schon weg.
junge menschen hören eben schnell einmal weg, dauert etwas zu lange. junge
menschen sind heute auch schnell mal neu orientiert, sie sind ständig unterwegs
mit ihren kindermoden und kindermodems, man trifft sie an mehr zwischen den
städten als in ihnen in icezügen - draußen sausen stadtlandschaften
vorbei, satellitenstädte um stuttgart, reihenhaussiedlungen vor berlin,
immergrünes ruhrgebiet - draußen also funktionales wohnen, drinnen
ice-gemütlichkeit, und isolationsmaschinen stehen bereit: walkmen, notebooks,
handies. und kontaktmaschinen: walkmen, notebooks, handies. sie braucht beides
zur zeit. braucht man heute auch als autorin, und ist sie etwa nicht autorin?
ist sie schließlich im judith-hermann-alter, das andere erstmal erreichen
sollen, auch sie erreicht es nicht. denn so was authentisches hat sie nicht.
doch sie ist jetzt ganz aus dem judith-hermann-häuschen, gebaut alleine
aus symbolischem kapital, wie man sagt. da hat sie sich erst nicht reingetraut
und jetzt sitzt sie davor und fragt sich, wie komme ich zu meinem geld? doch
zu ihrem geld kommt sie nicht. aus ihr ist auch mehr so eine publizistin geworden,
"freie autorin", wie man heute sagt ("rhizom" sagt man ja
auch schnell zu allem und jedem), und da ist eine saftige geschenkökonomie
im gang. "ach, das mach ich für die bio." hat sie eben zu ihm
gesagt.
doch er hat ohnehin nicht aufgepaßt. er prägt sich gerade den rythmus
ein. den hat er doch schon mal gehabt. der hat ihm früher was gesagt und
jetzt läßt ihn das vollkommen kalt. er ist heute auch noch nicht
auf dem erdboden aufgeknallt - angekommen in der realität. nämlich
nämlich: er hat nicht nur von berlin nicht viel gesehen, gesehen hat er
auch noch kein geld. "und deine werbeagentur?" - stellt sich heraus,
er lebt auch in einer geschenkökonomie, aber seiner eigenen, die nennt
er kunst: "denn weißt du, was wir machen, ist eben mehr kunst."
die werbeagentur ist nämlich so ein projekt - "das hört sich
jetzt etwas trashig an", aber geld mache er damit keines. "wir machen
eben werbung für kunst, die keine warenform hat." - "ach was."
man sieht, schon fangen die o-töne an, "das geht aber schnell!"
- "ja, weißt du, ich arbeite ja gerne mit o-tönen", denn
mit o-tönen arbeitet man heute grundsätzlich, das erzeugt so einen
semidokumentarischen touch, und semidokumentarisch ist ja heute alles in dieser
stadt. die leute reden ja auch immer gleich drauf los - man komme von einer
rundfunkanstalt, braucht man gar nicht mehr sagen, das geht praktisch von alleine,
noch bevor man sie fragt. zum beispiel wie sich das anfühlt so hundert
meter über der stadt, nachdem man einen haufen authentizität erzeugt
hat, ein ich-bin-dabei-gefühl. das gibt dem ganzen so eine schicht, so
eine patina aus lebendigkeit. das finde er gut, "echt prima, was du da
machst!" - "echt klasse!", "super sache!" hat auch
schon sie gesagt. und während sie dabei sind, eine affirmationsschlaufe
nach der anderen zu drehen, wie es sich gehört - berufsjugendliche sind
eben artverwandt, die kennen sich, wissen was anzufangen mit sich, plötzlich
haben sie dieselbe musik gehört, dieselben filme gesehen, "und zwar
richtige filme und laute musik", und lauter ähnlichkeiten fallen ihnen
jetzt ein - während sie also eine affirmationsschlaufe nach der andern
drehen, sitzen sie weiter in ihrem gratisberlin. da weiß man zwar nie,
in welcher ökonomie man gerade steckt, welches kapital einem wieder zur
verfügung steht: das soziale, das kulturelle, möglicherweise sexuelle,
aber das finanzielle mit sicherheit nicht, haben plötzlich beide festgestellt,
was also tun?
gemeinsam haben sie dann keinen überfall geplant, man plant heute auch
nicht mehr einen überfall, heute plant man mehr so einen kongreß.
"ja, einen kongreß müßte man machen!" und was für
einen! einen startup-kongreß mindestens, denn die wirtschaft werde noch
finanziert in dieser stadt, heißt es, während man für anderes
nicht mehr viel übrig hat. also muß man erstmal wirtschaft spielen,
einen fake produzieren, damit die kohle rüberkommt. mimikry betreiben!
startups nachahmen, kleinere firmen, büros und einzelkämpfer darstellen!
- "wir hatten kein geld mehr und mußten uns was überlegen",
hören sich dann die dazugehörigen o-töne an, "aber daß
wir so einen erfolg haben würden, haben wir nicht im mindesten geahnt."
das ist der neue unternehmergeist - das ist eben schröder pur! - "du,
jetzt haben wir schröder pur!" - "du meine güte! alles zurück!
volle montur! und differenzen setzen!" da hat man sich wohl ästhetisch
vergaloppiert, doch zu spät zu spät: "und dann noch bei der politischen
lage!" hat sie schon gesagt.
- was für politische lage?
ob er davon nichts merke? nein, davon merke er nichts. er habe keine ahnung,
auf was sie jetzt anspiele. da stellt sie also immer noch eine politische lage
fest, wer hätte das gedacht - aber nein, sie hat nur spaß gemacht.
gemeinsam haben sie keinen überfall geplant und auch keinen kongreß,
sie haben mehr spaß gemacht: jugendglatzen auf den augen! - "ja,
man ist doch kein gartenzwerg hinterm komma." gemeinsam wurde man dann
etwas sentimental, ja ja, die 80er jahre: letztendlich ist man also doch nicht
alleine aufgewachsen im michael-jackson-gesicht, sehr viel unterschlupf bot
es einem damals ja nicht und auch heute entkommt man ihm nur schwer. (doch keiner
kennt sein gaaaanzes gesicht!). gemeinsam hat man dabei ziemlich die zeit übersehen
und muß jetzt schnell weg. "ja, ich hab auch noch was vor!"
- nämlich nämlich, auch er habe zu tun - das höre sich jetzt
etwas selbstreferentiell an, lacht er, aber er arbeite jetzt mal für sich
- "pfff, der ewige streß!"
nein, eine berufsjugendliche sei sie ja nicht, hat sie schon mal vorgeschlagen
und jetzt wiederholt sie es zum spaß für sich, bevor sich die reinste
medienlandschaft wieder um sie ausbreitet und sich schließt über
ihr, und man nur wieder junge menschen in ihrer medienkompetenz herumlaufen
sieht auf den straßen, (die sind aber nicht käuflich, wie immer behauptet,
die machen vieles umsonst, weiß man jetzt - weiß wer jetzt?). es
wird dauern, bis der berlinpegel wieder sinkt und etwas darunter (eine hauptstadt?
eine festungsanlage? ein daimler-benz-klotz?) sichtbar wird.
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