Elfriede Kern
Jans Nacht
Ganz allgemein habe ich mich auch im Altkleidergeschäft als überaus
anstellig erwiesen. Natürlich gehöre ich zum Zirkus, mit Leib und
Seele, aber mir liegt auch das Geschäft mit Altkleidern, und wenn mir der
Altkleiderhändler von allem Anfang an freie Hand gelassen hätte, wäre
es mir in kürzester Zeit gelungen, mit unkonventionellen Methoden und neuen,
mitreißenden Ideen den Umsatz anzukurbeln. Aber der Händler ist meinen
Vorschlägen sehr reserviert gegenübergestanden. Als eines Tages ein
fähiger junger Mann an unserem Stand aufgetaucht ist, habe ich taktisch
geschickt vorgehen müssen. Der junge Mann hat unsere Kleider durchwühlt
und alles durcheinandergeworfen, bis ich ihm Einhalt geboten habe.
'Wonach suchst du denn?'
'Nach einem Frack.'
'Wozu brauchst du einen Frack?'
'Ich bin Feuerschlucker. Mein Kostüm weist ein paar Brandflecke auf, weil
ich manchmal mit brennender Zigarette einschlafe. Nun stellt das Publikum unglücklicherweise
einen Zusammenhang zwischen diesen Brandflecken und dem Feuerschlucken her.
Das macht sich nicht gut. Wenn hämische Bemerkungen aus dem Publikum kommen,
leidet die Stimmung.'
Das hat mir eingeleuchtet und ich habe ihm geholfen, einen preiswerten, sehr
gut sitzenden Frack auszusuchen, und habe ihn dann später, als ich einen
Spaziergang gemacht habe, in seinem neuen Frack am nördlichen Stadttor
stehen und Feuer schlucken sehen. Er hat eine sehr gute Figur gemacht und ich
habe ihn aufgefordert, in unserer Nähe zu bleiben.
'Vielleicht kannst du bei uns mitmachen. Wir brauchen ohnehin eine Attraktion.'
Unsere Einnahmen sind Tag für Tag weiter gesunken und schließlich
war nicht einmal mehr genügend Geld da, um Futter für den Hund zu
kaufen. Daß er uns eines Abends weggelaufen ist, war, so gesehen, eine
glückliche Fügung. Der Altkleiderhändler aber war ganz außer
sich und hat händeringend die halbe Stadt nach ihm abgesucht, aber keinen
Erfolg gehabt. Ich bin weniger traurig gewesen. Der Hund hat mehr als einmal
nach mir geschnappt und war kaum sattzukriegen. Ich habe also die positive Seite
zur Sprache gebracht.
'Wir sparen das Futter, sehen Sie's doch so, wir müssen sparen, wo wir
nur können.'
Aber der Händler hat mir die Schuld an allem gegeben.
'Du hast ihn zu früh losgebunden.'
Ich habe die Achseln gezuckt und darauf verzichtet, mich zu verteidigen. An
böswillige Unterstellungen bin ich gewöhnt. Wir wohnen, wie immer,
im billigsten Gasthof der Stadt und die Gaststube ist voll von Schaustellern,
Marktfahrern und Musikanten. Der Feuerschlucker hat es vorgezogen, den Gasthof
nicht zu betreten, aber von Zeit zu Zeit durch eines der kleinen, ziemlich schmutzigen
Fenster zu uns hereingeschaut, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Als
er wieder einmal das Gesicht gegen die Scheibe gepreßt und mich fragend
angeschaut hat, habe ich ihm bedeutet, daß er beim Hoftor auf mich warten
soll. Als sich der Händler schlafen gelegt hat, bin ich hinausgelaufen
und habe ihm erzählt, daß unser Hund weggelaufen ist und daß
das seine Chance sein könnte.
'Bis jetzt hat der Hund unseren Karren gezogen, wärst du bereit, einzuspringen?'
Der Feuerschlucker hat eilfertig genickt.
'Aber ja. Ohne weiteres ziehe ich euren Karren.'
Also haben wir am nächsten Morgen den Altkleiderhändler vor vollendete
Tatsachen gestellt. Als ich ihm gemeldet habe, daß alles zur Abfahrt bereit
ist, hat er den Feuerschlucker schon vor den Karren gespannt vorgefunden und
nicht viel dagegen einwenden können. Im Lauf des Tages hat sich leider
herausgestellt, daß wir nicht ganz so gut vorwärtskommen, daß
der Feuerschlucker den Hund nicht gänzlich ersetzen kann. Wir haben unser
Tagesziel erst spätabends erreicht, was nachteilig war. Altkleider verkauft
man am besten tagsüber, je später es ist, um so weniger interessieren
sich die Leute dafür. Abends stehen andere Dinge im Vordergrund. Niemand
interessiert sich für Altkleider, wenn an allen Ecken und Enden die spektakulärsten
Kunststücke vorgeführt werden. Ich habe den Feuerschlucker aufgefordert,
seinen Frack anzuziehen, sein Kunststück zu zeigen und die Leute an unseren
Stand zu locken. Er war einverstanden, hat sich ausspannen lassen und ein paar
sehr mißglückte Proben seines Könnens geliefert. Die Zuschauer
haben verächtliche Bemerkungen gemacht und sind weitergegangen, ohne unsere
Altkleider auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Händler hat den
Feuerschlucker gleich wieder wegjagen wollen, aber ich habe mich für ihn
in die Bresche geworfen.
'Wir haben ihn den ganzen Tag den schweren Karren ziehen lassen, er ist geschwächt
und muß sich erst ein wenig erholen.'
Und tatsächlich: nachdem wir ihm eine kleine Ruhepause gegönnt haben,
ist alles wie geschmiert gelaufen. Die Leute sind stehengeblieben, haben gebannt
zugeschaut, applaudiert, ich bin mit einem Hut durch die Menge gegangen. Auf
meiner zweiten Runde ist mir ein Mann aufgefallen. Ich war mir sicher, ihm schon
irgendwo begegnet zu sein und habe einen weiten Bogen um ihn gemacht. Als sich
die anderen Leute verlaufen haben, der Mann aber weiter stehengeblieben ist,
habe ich den Feuerschlucker gefragt, ob er den Mann vielleicht kennt, aber er
hat den Kopf geschüttelt. (Auszug)
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