Walter Ruprechter
Zum Sprachwitz bei Wolf Haas
Der Grant
Der Detektiv Brenner, der Held oder Antiheld der Romane von Wolf Haas, ist eher
ein passiver, mundfauler und schwer beweglicher Typ. Das ist wahrscheinlich nicht
ganz typisch für Detektivfiguren, aber sicher steht er damit auch nicht alleine
da. Doch ich will mich hier nicht über Detektivtypen auslassen, sondern den
Typus Brenner nur insofern betrachten, als es zu meinem Thema hinführt, nämlich
den Sprachwitz in den Romanen von Haas etwas unter die Lupe zu nehmen.
Der Brenner ist also einer, der sich in seiner detektivischen Arbeit von niemandem
zu etwas drängen lässt, auch nicht von sich selbst. Er versucht die
Lösung seines Falles nicht zu erzwingen, sondern wartet ab, bis sie ihm wie
von selbst zufällt. Dieser Zufall ereignet sich aber meistens in einer extremen
oder lebensgefährlichen Situation, in die der Brenner jedesmal hineingerät
und aus der er dann immer stark lädiert, aber auch erleuchtet wieder herauskommt.
Der Brenner vertraut seiner bewussten und rationalen Seite nur bedingt, viel lieber
überlässt er sich Vorgängen, die er selbst nicht steuern kann und
die ihm „sein Unbewusstes zwitschert“ (85), wie es in Silentium2 heißt.
Über die Methode Brenners, den Lösungen seiner Fälle nachzuspüren,
werden wir auch in jedem Buch vom Erzähler unterrichtet.
Eine besonders aufschlussreiche Stelle findet sich im Knochenmann, wo der Unterschied
zwischen dem Denken und dem Brüten ausgebreitet wird, natürlich um den
Brenner als Brüter zu bezeichnen. „Weil Denken ist gar nicht immer
seine Stärke gewesen. Aber Brüten, Weltniveau!“ (Knochenmann,118)
Der Unterschied ist der zwischen dem Herstellen einer logischen Gedankenfolge
beim Denken und dem ziellosen Durchlaufen von Denkelementen und deren ständiger
Koppelung mit realen Elementen beim Brüten. „Weil das ist ja der Vorteil
beim Brüten gegenüber dem Denken. Daß du über alles gleichzeitig
nachbrüten kannst. Die Geräusche, die aus der Küche gekommen sind,
hat er genauso mitgebrütet wie die Kalenderbilder an den Wänden. Weil
beim Brüten kannst du es dir ja nicht aussuchen, über was du brütest.“
(Knochenmann,113) Und deshalb kommt auch in den meisten Fällen nicht viel
dabei heraus, wie er illusionslos zugibt, denn „meistens brütet man
nur, weil man zu faul ist zum Denken.“ Dennoch sind die Erfolge Brenners
dieser frei 0schwebenden Aufmerksamkeit des Brütens zu verdanken, die allein
der Sprache des Unbewussten angemessen ist, auf die zu hören sich der Brenner
vorgenommen hat.
Auch in Komm, süßer Tod findet man dieselbe Methodologie in einer anderen
Version. Da steht nun nicht Denken gegen Brüten, sondern Konzentration gegen
Unkonzentriertheit. Und natürlich ist der Brenner „ja so ein unkonzentrierter
Mensch gewesen, daß du ihn suchen mußt.“ (Komm, 51) Das hat
ihm zwar das frühere Leben bei der Polizei schwer gemacht, aber die Gauner
hat er „ausgerechnet immer mit seiner Unkonzentriertheit geschnappt“.
Unkonzentriert sein aber heißt auch hier nicht auf ein logisches Zentrum
fixiert sein, sondern „über hunderttausend Dinge nachdenken“.
Und weil man für so einen Unkonzentrationsschub natürlich viel mehr
Energie braucht als „für ein bißchen Konzentration“, ist
der Brenner immer grantig geworden, wenn ihn jemand dabei stören wollte.
Daher hat der Erzähler für die Denkmethode vom Brenner ein einfaches
Wort, und das heißt Grant. Der Grant, eine schlechte Laune, entsteht über
ungelösten Problemen und hat die Funktion einer Abwehr von allem, was der
Lösung im Wege steht. Er ist eine Art Außenposten des Unbewussten,
der dessen lustbetonte Arbeit vor den Zudringlichkeiten der Realität schützt.
Auch in Haas’ letztem Buch, Wie die Tiere, erhält der Leser seine Lektionen
in Brenners Methodologie. Diesmal nicht nur über Methoden, auf die richtigen
Gedanken zu kommen, sondern auch über die Methode der Beobachtung oder der
Observation, wie das in Polizeikreisen heißt. Dabei gilt etwas ganz Ähnliches
wie beim Denken: Eine gewisse Zerstreuung ist notwendig, wenn man alles gleichzeitig
denken oder eben sehen will. „Und genau darum geht es eben beim Beobachten.
Das macht es ja so schwierig. Alles sehen schon schwierig genug, aber dann noch:
Selber nicht gesehen werden. Stundenlang direkt dem Hauseingang gegenüber
sitzen und von keinem Passanten gesehen werden. Das ist es, wo du den Detektiv
vom Möchtegern auseinanderkennst.“ (Tiere, 140) Der Beobachter soll
mit dem Hintergrund verschmelzen und dabei seine Aufmerksamkeit auf alles gleichzeitig
verteilen. So kann Brenner stundenlang auf einer Parkbank dahindämmern und
doch im richtigen Moment bemerken, wie die Haustür aufgeht. Das zerstreute,
nicht das konzentrierte Denken und Wahrnehmen ist es also, was die Methode des
Brenner auszeichnet. Dabei fällt auf, dass sich das Exzentrische seiner psychischen
Vorgänge mit dem Äußerlichen der Situation eng verschränkt.
Wenn Brenners Gedankentätigkeit einsetzt, dann ist das meistens mit einer
anderen Tätigkeit oder einer Extremsituation gekoppelt. Im Knochenmann beginnt
seine Denkmaschine anzulaufen, als der Löschenkohl die Fleischerhacke gegen
ihn erhebt. In Silentium löst sich sein „Ganglien-Salat“ beim
Betätigen des Tischfußballs. „Und wieder schön den Ball
unten herausholen und weiterspielen. Weil solange die Kugel gerollt ist, sind
auch die Gedanken vom Brenner ein bißchen herumgerollt.“ (Silentium,
184)
In Wie die Tiere bringt der Brenner seine Gedanken an einer Ampel in Schwung,
indem er sie mit deren abwechselndem Summen bei Grün und Klick-klick-klick
bei Rot synchronisiert. Dabei kommt er beim Summen selbst ins Summen und weiter
auf den entscheidenen Namen Summer, während er bei Rot verstummt und sein
Räderwerk klicken lässt. In einer anderen Situation befindet sich der
Brenner im Inneren des Flakturms kurz vor der Bewusstlosigkeit wegen des Gestanks
im Turm und entschließt sich, den Atem anzuhalten, wobei er unerwarteterweise
erlebt, wie ihm dann die Gedanken durch den Kopf trampeln und ihn so der Lösung
entscheidend näher bringen.
Es sind also einerseits Extremsituationen, andererseits reale Vorgänge oder
Aktionen, die seine Gedanken in Schwung bringen. – Oder will diese Koppelung
umgekehrt besagen, dass die realen Vorgänge und Aktionen nur eine Funktion
jener Bewegung sind, die der Brenner als das Denken erlebt, aber gar nicht als
sein bewusstes, sondern als die Artikulation seines Unbewussten?
Mit dieser Frage möchte ich die These wagen, dass die Brenner’sche
Methodologie nichts anderes ist als die Haas’sche Poetik selbst. Das würde
also heißen, die Wirklichkeit in den Romanen von Haas ist nach jenen Prinzipien
konstruiert, nach denen der Brenner seine Fälle löst. Im Wesentlichen
ist das eine Poetik der Zerstreutheit, und die Prinzipien folgen jenen Artikulationsstrategien,
die das Unbewusste benutzt, um Fehlleistungen, Träume, Neurosen, Kunst
und auch Witze zu produzieren. Da die Zerstreutheit nach Henri Bergson der Boden
ist, auf dem die Komik ihre Blüten treibt3, und nach Freud der Witz bekanntlich
eine Beziehung zum Unbewussten hat4, darf ich hoffen, meinem Thema Sprachwitz
schon näher gekommen zu sein.
(Auszug)
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