Klaus Kastberger
Purim
Ein Fest für Franz Haas und Klaus Zeyringer
Ein kleines Schloßgespenst geht in Österreichs Literaturbetrieb
um. Es ist die Angst, daß man die österreichische Gegenwartsliteratur
im Ausland nicht mehr versteht. Als Kronzeugen gelten Bücher von Werner
Kofler, Marianne Fritz und Elfriede Jelinek, insgesamt ist aber wohl all das
gemeint, was hierzulande unter dem Begriff der „Avantgarde“ läuft
bzw., richtiger, einstmals unter diesem gelaufen ist. Der Begriff der Avantgarde
ist ja mittlerweile selbst zu einem historischen geworden. Kaum einer, der heute
in Österreich schreibt, beruft sich darauf, umgekehrt prügeln die
Kostverächter des literarischen Eigensinns mit um so größerer
Lust auf ihn ein. Was Wunder auch: Ein allzu großes Risiko trägt
dabei keiner.
Sagen wir so: Es sind eigenwillig schreibende Autoren und Autorinnen aus Österreich,
um die es in dieser nicht mehr ganz neuen, aber jetzt wieder aktuell gewordenen
Debatte geht. Mehr noch als um die Autorinnen und Autoren geht es freilich um
die Exponenten des Betriebes, die in unserem Land vermeintlich hinter ihnen
stehen. Die warmherzig vorgebrachte Sorge um die Verständlichkeit der österreichischen
Literatur entlarvt sich als ein macht- und kulturpolitisches Manöver, und
sie tut dies auch deshalb so rasch, weil sie von Beginn an als ein solches daherkommt.
Aus dem Unverständnis, das manch einem eigenwilligen Text aus Österreich
in manch einer Kritik des deutschsprachigen Großfeuilletons (und wohl
auch in manch einer Kritik des Inlands) entgegengebracht wurde und wohl auch
weiterhin wird, leitet man ohne große Umschweife eine explizite Forderung
ab: So, liebe Autorinnen und Autoren, lieber Werner Kofler, liebe Marianne Fritz
und liebe Elfriede Jelinek, kann man halt nicht schreiben, wenn man im Ausland
nach rechter Art verstanden sein will.
Es ist ein abgekürztes Verfahren, das hier angewandt wird und als solches
kaum noch zuläßt, sich mit den Texten selbst zu beschäftigen.
Schwierigkeiten mit dem Verständnis von Texten werden als Einwände
gegen Texte gesehen. Auf die Idee, daß sich ausgerechnet in den Lektüreschwierigkeiten
die Voraussetzung von Interpretation findet (so wie dies in der hermeneutischen
Tradition gut begründet ist), kommen die Betreiber dieser neuen Art von
Literaturwissenschaft nicht. Literarische Texte treten dort, wo sie arbeiten,
nämlich auf dem Feld der medialen und soziologischen Analysen, immer nur
als Störphänomene auf. Die Literatur leistet Widerstand gegen das
glatte mediale Funktionieren, und genau dieser Widerstand wird ihr jetzt zum
finalen Vorwurf gemacht.
Es sind vor allem zwei Germanisten, die sich auf dem Gebiet einer in dieser
Form zeitgemäßen Literaturwissenschaft, man könnte freilich
auch sagen: auf dem Gebiet einer Literaturwissenschaft ohne Literatur, hervorgetan
haben. Klaus Zeyringer, der seit Jahrzehnten an der Universität der schönen
französischen Stadt Angers neuere deutsche Literatur lehrt und der diese
langjährige Tätigkeit offensichtlich kaum dazu genutzt hat, dem Ausland
die österreichische Literatur zu erklären, sondern der sich in Frankreich
gerade im Gegenteil genug Distanz vom österreichischen Betrieb erworben
zu haben meint, um eben diesen Betrieb aus der notwendigen Ferne diagnostizieren
und gleich auch ordentlich therapieren zu können. Und Franz Haas, der auf
seinem Professorenposten in Mailand seinerseits eine penible Registrierung des
vermeintlichen ausländischen Unverständnisses vorgenommen hat und
zu ähnlich verheerenden Ansichten über die österreichische Gegenwartsliteratur
gekommen ist.
Die Thesen und Methoden von Franz Haas und Klaus Zeyringer greifen paßgenau
ineinander, und so ist es nur verständlich, daß das ungetrennt Nichtvereinte
jetzt auch in einem Buch zueinandergefunden hat. In dem Band Blicke von außen1
lassen Haas und Zeyringer ihre verdoppelte Meinung, die eigentlich nur eine
einzige Meinung ist, von derjenigen des eher sanftmütigen und wohltuend
unpolemischen Hermann Schlösser rahmen. In essayistischen Beiträgen
und in Gesprächen, die die drei Herren miteinander führten, wird dargestellt,
welch einen Schrecken es mit sich bringen kann, wenn man es wagt, die österreichische
Literatur im internationalen Kontext zu sehen. Wild und gefährlich scheint
plötzlich das Leben in Mailand und Angers, wenn man es dort einmal mit
Jelinek versucht.
Wie ein Mediziner nähert sich Franz Haas der Sache, und flugs: Schon ist
seine Diagnose verheerend. Nicht etwa nur einen Schnupfen oder eine leichte
Verkühlung haben sich die österreichische Gegenwartsliteratur und
ihr Betrieb seiner Ansicht nach zugezogen. Nein, viel schlimmer hat es die beiden
erwischt: Die Literatur und ihr Betrieb leiden in Österreich an Autismus.
Unheilbar krank liegen sie darnieder, zwei Patienten, die immer schon unter
einer Decke gesteckt sind und sich dabei gegenseitig angesteckt haben –
ausgerechnet mit Autismus, die Mediziner mögen an dieser Stelle halt kurz
einmal weghören. Wie weit dieser „austriakische“ Autismus mittlerweile
fortgeschritten ist, erkennt Haas an einem Beitrag, den ich selbst vor einiger
Zeit in der kolik veröffentlicht habe. „Prügel für Jelinek.
Literaturkritik als Rabaukenstück“ nannte ich damals meine Auseinandersetzung
mit der Rezeption von Elfriede Jelineks Buch Gier. Einige der Besprechungen
fand ich untergriffig und unfair, beispielsweise jene von Gabriele Killert in
der Zeit, wo es nicht um den Text, sondern um eine aggressive und pauschalierte
Österreichkritik ging.
(Auszug)
[kolik ]