Thomas Ballhausen
Die Begehung der inneren Städte
Herbert J. Wimmers Prosawerke zwischen Tradition und Experiment
Die letzten Zeilen von Herbert J. Wimmers Roman „das offene schloss“
lauten: „es gibt keinen anfang und kein ende mehr wir müssen irgendwo
abbrechen anfangen aussetzen“. In diesem Sinne sollen auch die folgenden,
skizzenhaften Ausführungen gehalten sein und verstanden werden, können
und sollen in ihnen ja nur eine mögliche Sichtweise auf das vielstimmige
Schaffen Wimmers geworfen und werkübergreifende Aspekte herausgearbeitet
werden. Jeder anders geartete Versuch, seine Tauglichkeit vorausgesetzt, würde
nach einer anderen Form verlangen, den Rahmen der gegebenen Möglichkeiten
sprengen und wohl auch Leserschaft und Primärtexte selbst über Gebühr
beanspruchen. Deshalb soll nun abgebrochen, tatsächlich angefangen und
schließlich wieder ausgesetzt werden.
Magische Kanäle
Es gilt, die von Wimmer als „erlebnis- und erfahrungskanäle[n]“
benannten Verbindungen aufzuspüren, die im Überthema der Wahrnehmung
und der damit verbundenen Prozesse eingeflochten sind. Mit diesen Aspekten,
wie der Stadtbeschreibung, der Architektur- und Medientheorie oder der Veränderung
des detektivisch-lesenden Blicks, gelingen ihm die Dissemination des andauernden
Experiments und die Verdeutlichung der Überlappungen, der Parallelentwicklungen
und -bewegungen. Die editorische Klammer ist durch die Erstveröffentlichung
der „Inneren Stadt“ und die Neuauflage dieses Werks gegeben; der
„ZEITPFEIL“, trotz seiner unübersehbaren Anbindungen an die
bisher publizierten Romane Wimmers, geht weiter, geht darüber hinaus.
Was alles ein Roman sein kann, liegt für den Autor Wimmer einzig in der
unbestreitbaren Definitionsfähigkeit des Autors an sich begründet.
Primär heißt das dann die kritische und zugleich spielerisch-karnevaleske
Befragung von Normen und Grenzen: „das selbstverständliche, das sich
nicht für alle von selbst versteht, da es erst als selbstverständliches
eingeführt werden muss: ein roman ist ein roman ist ein roman ist ein roman.
[…] im prozess der romanentstehung verändert der autor ganz selbstverständlich
die gattungsgrenze roman: jeder text aus der systemumgebung roman, jede textsorte
findet platz im jeweiligen system des romans.“
Dieses System „poetischer Lesebücher“, die auch den Autor
selbst mitmeinen, bietet die Möglichkeit einer dialogisch beschaffenen
Klammer, die die Werke auf einer zusätzlichen Ebene miteinander verbindet
und verknüpft, also „dass auf erzählungen mit erzählungen
geantwortet wird; wenn eine sehr einfache und direkte form von intertextualität
als intersubjektivität manifest wird“. In dieser Verdeutlichung ist
auch Platz für die Abbildung des Schreibprozesses und der eingeflochtenen
Poetik: „weiters finden sich in allen büchern textstellen, erzählpassagen,
die auf die spezielle organisationsweise des jeweiligen buches bezogen sind.
der fortgang der handlung (handlung im weitesten sinn) entfaltet die erzählung
eines schreibhandelns, das die organisation der umgebenden, der kontextmasse
vorantreibt.“
Das „schwimmen im permanenten textfluss“ wiederum deutet auf die
Möglichkeit der Texte als Spielzüge eines wesentlich umfassenderen
Lebensspiels hin – erneut ist auch der Autor betroffen und gemeint –,
das seine Entsprechung im methodischen Konzept einer andauernden Bewegung findet.
Einer Bewegung, die den Rahmenbedingungen einer nicht endenden Situation des
Experiments, das auf dem Verhältnis zwischen dem Schriftsteller (écrivain)
und dem ansonsten ununterbrochen stattfindenden intellektuellen Schreibprozess
(écrivant) basiert, gehorcht: „der autor ist experiment und experimentator,
finder und erfinder seiner versuchsanordnung und versuchsweiser nacherzähler
der versuche zugleich.“
Aber nicht das Experiment der Katastrophe ist für Wimmer von Interesse,
mehr das Nachzeichnen von Krisen und den jeweiligen Optionen in narrativen Bruchstücken.
Angetrieben von symptomhaft wirkenden Zitaten, wie etwa in den zweimal 77 Textbewegungen
des Romans „das offene schloss. ambivalenz roman“, verstreut sich
seine gleichermaßen satirische und treffende Analyse – im erwähnten
Fall die Untersuchung des Literaturbetriebs und die (Un-)Möglichkeit der
Zweierbeziehung – über den jeweiligen Text. Die Instrumente der Ambivalenz,
die hier vor allem die Unmöglichkeit einer endgültigen Eindeutigkeit
meint, kommen im urbanen Raum zum Einsatz, dem Bereich der zunehmend offenen,
unbegrenzten Stadt, die über ihre Grenzen hinausschwappt, sich in all ihrer
architektonischen Unheimlichkeit darbietet.
Stein und Fleisch
„die welt, [ist][…] ein netz […] aus orten“, die beschrieben
und bereist werden wollen. Die literarischen Texte des Autors basieren auf einem
theoretischen, insbesondere architekturtheoretischen, Fundament, das die Lust
an der Widerständigkeit zum verordneten Betrieb und die Neubewertung gesetzter
Normen nicht vermissen lässt. Wimmer steht damit in der Tradition von Ahnvater
Leon Battista Alberti und dessen Ansinnen der „Emanzipation des Künstlers
vom Handwerker zum Intellektuellen“. Deutlicher und detailreicher sind
die Bezüge zu neueren theoretischen Werken wie den mit Bezügen zur
Populärkultur durchzogenen Arbeiten der Gruppe Archigram, dem biotechnischen
Ansatz der Entwürfe von Kisho Kurokawa, dem Wunsch Robert Venturi, die
Architektur als möglichen Zeichenträger wiederzuentdecken, oder auch
Charles A. Jencks’ durchaus mit Ironie zu lesender Fixierung des Beginns
einer postmodernen Architektur mit der Sprengung der Wohnanlage Pruitt-Igoe
im Jahre 1972.
Die innere Stadt, die mal Wien, mal Berlin oder Paris sein kann, wird so als
codierte „Einschreibung des Menschen in den Raum“ erkennbar und
erfahrbar – genauso wie als Speichermöglichkeit der kriminologischen
Varianten. Es war also vielleicht ein Mord, doch die strukturierenden Fragen
des Detektivs aus dem Text „Innere Stadt“ scheinen in dieser Vermengung
der Orte ins Leere zu laufen. Die vermeintlich sicheren Traditionen zerfallen
in Fragmente, die poetische Neuschreibung der medial überformten Wirklichkeit,
der sich sogar die Wetterbedingungen beugen, sind spielerische, subversive Auswüchse
einer „welt, die pausenlos auf die sinnesorgane zurückfeuert“.
Körper und Gehirn werden dabei aufgespalten, das Wissen um den eigenen
Körper und die Unfähigkeit des Umgangs damit birgt ein gefährliches
Missverhältnis: „mein körper ist meines körpers feind“.
Doch eine andere Bewegung ist in dieser Stadt nicht gestattet, der Körper
ist unabdingbarer Teil des urbanen Raumes, die Grundvoraussetzung für das
switchen zwischen Identitäten und Szenerien, für die metastasenhafte
Beteiligung der Figuren – Lebender und Toter – aneinander.
Die Anwesenheit der Abwesenden, sei es in Form der erinnerten Toten oder im
Rahmen schriftlicher Kommunikation über geographische Weiten hinweg, die
in ihrer Beschaffenheit als herausgereizte Antworten die jeweils besuchten Orte
lesbar machen, sind für den jeweiligen Detektiv Hinweise auf das Gedächtnis
der Stadt, Einträge im „pschyrembelcomic“, die zur Entzifferung
der Körpersprache, der Körperschrift beitragen: „Die Stadt ist
ein Diskurs, und dieser Diskurs ist wirklich eine Sprache: Die Stadt spricht
zu ihren Bewohnern, wir sprechen unsere Stadt, die Stadt, in der wir uns befinden,
einfach indem wir sie bewohnen, durchlaufen und ansehen.“
Doch die Sprache ist hier ehrlicherweise von einer Stadt in bemerkenswert bedenklichem
Zustand, einer Metropole der Geister, der Untoten und der schlecht beerdigten
Wiedergänger; die Häuser selbst, wie etwa in „das offene schloss“,
sind lebendig und verlangen nach Futter und Opfern. „das schloss platzt
ins bewusstsein“ und ein Entkommen ist nur über die ausgestreuten
links und keywords möglich, die die Textpaare zu verbinden scheinen. „etwas
bodenlos urbanes“ wird zu Tage befördert; die Figur des Ermittlers
erscheint so auch als Ausdruck einer Schreibhaltung, die das Abtragen der Vergangenheit
befördert, schließlich auf die Gegenwart zurückgreift, um eine
gegenwärtigere Architektur, die der besseren Zukunft der Vergangenheit
zugehörig ist, zu verdeutlichen: „Eine zeitgemäße Architektur
wird es dann geben, wenn die Plätze, Straßen, Gebäude und Infrastrukturen
die Spannweite der städtischen Realität erkennen lassen und in der
Trostlosigkeit der Stadt zu Zeichen einer faszinierenden Verwahrlosung werden.“
Detektivisches Erinnern
Der ideale Zuhörer und Transformator der inneren Städte Wimmers ist
der bereits erwähnte Detektiv bzw. die Detektivin, die besten Leser also
wohl die „zum detektivischen tendierenden menschen“. Die beschriebenen
Städte gleichen semiotischen Rätseln, eröffnen sich uns als gelungene
literarische Beschreibung dessen, was sich als (postmoderner) Urbanisierungsprozess
umreißen ließe: „Die Stadt ist nicht mehr [ausschließlich,
T. B.] das politisch-industrielle Vieleck, das sie im 19. Jahrhundert gewesen
ist – heute ist sie [vor allem, T. B.] ein Vieleck aus Zeichen, Medien
und Codes.“
Der Detektiv gilt hier als Archetyp, als Leser der Wimmer’schen Textgezeiten,
die Figur selbst als Annäherung an eine synthetische Authentizität
im Sinne der möglichen Rückgewinnung von Sprache und Sprachkompetenz:
„die schrecken des sprachkompetenzverlusts und die freuden seiner wiedergewinnung
durchziehen als oszillationsfigur einer andauernden unsicherheit die bücher.“
Es wundert also nicht, dass der Detektiv auch Schreibmaschine und Scheiternder
ist, scheint es doch immer ein wesentliches Detail zu geben, das sich ihm in
der dargebotenen „Zerstückelungsdialektik“ entzieht. Der Detektiv
bleibt somit im Unklaren über die eigene Position, wohl auch, weil er ein
Produkt seiner eigenen Lektüre aus der Romantauschzentrale ist, ihm sein
eigener Unort – eine immer wieder erneut zu durchlaufende Passage –
inhärent ist.
Lovecraft und seine Schüler treten der Leserschaft dabei nicht nur mit
„heckhirnige[n] volkswagenmolluske[n]“ als literarische Folie entgegen,
selbst in der Beschaffenheit der Protagonisten haben sie deutliche Züge
hinterlassen. Das erfolglose Suchen nach einem nicht vorhandenen eindeutigen
Sinn in der mitunter unheimlichen Vielstimmigkeit einer postindustriellen Metropole
verurteilt auch den klassischen Erinnerungsdiskurs – der an Denkmälern
und Plätzen, Tropen des Gedächtnisses, ausgerichtet ist – zum
Scheitern. Der Detektiv, der in seiner Beschaffenheit zwischen Philip K. Dicks
Rick Deckard und Douglas Adams’ Dirk Gentley schwankt, kann in Bezug auf
seine Notizen nur Unsicherheiten ausmachen, könnten seine Erinnerungen
und Erfahrungen doch Ausdruck implementierter Prothesen sein. Die permanente
Neubewertung gilt also nicht nur den in die Umgebung eingemeißelten Botschaften,
sondern auch den in den Körper eingeschriebenen Texten: „wann geht
die struktur in inhalt über wann der inhalt in form diesen augenblick möchte
ich bewusst erleben tippt der detektiv in die kladde das keyboard wurde ihm
in die haut des oberbauchs cybertätowiert spezifisch funktionalisierte
nervenzellen geben die eintastungen weiter“.
Erinnerung, Pilzbefall
Alles bewegt sich, ist im Fluss. Die Unsicherheit der Erinnerung ist ein Teil
des Transformationsprozesses, den die Leser am Detektiv der Texte „Innere
Stadt“ und „das offene schloss“ nachprüfen können:
Erinnert wird so, wie man sich daran erinnern möchte – und vielleicht
gerade deshalb nicht so, wie es sich zugetragen hat.
„entgleiten als fortbewegung“ kann mit dem Text „DIE FLACHE
KUGEL“ auch auf die eigene Position projiziert werden. Zwei Ausgangstexte,
ein Abschnitt aus einem Konversationsbuch zur Sprechschulung und eine Montage
aus Anfangs- und Endsätzen aus der Bibliothek des Autors, laufen darin
aufeinander zu, gleiten in eigenständigen „micromane[n] transformationen“
ineinander. Die Idee eines zergliederten Erinnerns wird auf diesem Weg zum sich
ständig neu darbietenden Text des schon gelesenen Materials: „Dieser
Spannungsbogen schildert textlich-objektiv die Leseerfahrung, die im zerhackt
Disparaten ständig Sinnzusammenhänge zu erfassen versucht, um sie
gleich wieder fahren lassen zu müssen für das Erlesen von anderen
Sinnzusammenhängen.“ Die Wahrnehmung ist somit deutlich an die Prinzipien
der jeweiligen Medialisierung gebunden, einer Umwertung in einem vielleicht
sogar vorbelasteten Sinne, die auch zu „kapitulationsmomente[n] vor der
organisationsgewalt“ führen können – ist man doch nie
gegen die „wahrnehmung des pilzbefalls“ und den möglichen Pilzbefall
der Wahrnehmung gefeit.
War in „das offene schloss“ der Faktor Zeit mit der eigenen Erinnerung
in den Text eingebracht, findet in „unsichtbare filme. ein relativer roman“
die Bewegung der Protagonisten gänzlich außerhalb der Zeit statt.
Vielmehr wird ein Wandern über Projektionsflächen, ein Ziehen von
Ort zu Ort geboten, ein Kommunizieren über memorierte Texte und mythologisch
vorbelastete „(o)vid/eokassetten, die sich permanent verwandeln“.
Die Veränderung der Erinnerung und Wahrnehmung durch die Erfindung der
Kinematographie, die sich einstellende Mobilisierung des Blicks zeigen sich
in den Texten, besonders aber in „unsichtbare filme“ und dem m.
E. als Hauptwerk zu betrachtenden „das offene schloss“, durch die
Allgegenwart von Filmen und Filmbezügen. Über den Zwischenschritt
des Panoramas wird der Leser mit einer selektierenden und fragmentierenden Erzählweise
konfrontiert, die dem sequentiellen Erzählen des Mediums Comic –
insbesondere dem der graphic novel – verwandt ist. Die glückliche
Hochzeit unterschiedlichster Ausgangsmaterialien – wie Konzepte, Scripts,
Fragmente auf der Rückseite abblätternder Tapeten – ergibt eine
montierte „innere leinwand“, auf der mittels Schnitten mal gezeigt,
mal reflektiert wird. Die Wahrnehmung meint damit aber auch das Spiegeln in
mehr oder minder durchsichtigen Oberflächen, den erneuten Entzug möglicher
Beweise im detektivischen Spiel: „[R]eflection is complicated by the fact
that it appears on the front surface of a medium whose transparency affords
the observer a relatively uncompromised view of everything behind it.“
Historie(n)
Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Werken ist „auto stop tempo
texte“ ein historischer Roman, im Sinne der Behandlung historischer Begebenheiten.
Der spielerische Umgang mit Fakten lässt den Text als Indizienprozess erscheinen,
der sich einerseits am Tag der ersten Mondlandung, also eines durch die Medialisierung
als Punkt fixierbaren Ereignisses, und andererseits am letzten Tag des Woodstock-Konzerts,
das durch seine Beschaffenheit erst nach und nach seinen Ereignischarakter gewann,
orientiert. Der ermittelnde Leser, der Detektiv ist dabei mehr Historiker denn
ein hoffnungslos in seine Sammlung verstrickter und deshalb auch unbeweglicher
Archivar. Mit dem Versuch der Synchronisierung der andauernden, autostoppenden
Fluchtbewegung lassen sich Einblicke in Historie und Mythisierung der Geschichte
gewinnen: „wer findet die balance zwischen weglassen und anhäufen:
durch weglassen etwas hervorbringen notwendig das weglassen hervorbringen: die
inversion in den schöpfungsgeschichten: aus der fülle des davor die
welt als reduktion erschaffen“.
Jedem der Abschnitte des Romans sind Fakten vorangestellt, Wetterberichte,
Schlagzeilen, denen dann die narrativen Strukturen, die „gedächtnisfalte[n]
/ zeitfuge[n]“, folgen. Mit diesen organischen, schlauchartigen Passagen
bietet sich die Möglichkeit des Blicks in die Vergangenheit von einer angenommenen
gegenwärtigen Position aus; ein bedeutungsvolles Aufbrechen in eine erinnernde
Bewegung in der Zeit, das auch ein Leben und Überleben mit einschließt:
„das staunen darüber, wofür man nichts kann, das überleben
nämlich, mischt sich in die trauer darüber, freunden und bekannten
nur mehr in der erinnerung begegnen zu können. […] unsere erinnerungen,
die falten und faltungen unserer gedächtnisse, werden zur konstruktion
all der toten unseres lebens.“
Die Montage des isoliert Dokumentarischen gewährleistet Verfremdungseffekte,
die (Re-)Konstruktion des Persönlichen und des Alltäglichen wird so
zum privaten Entgleiten aus der Misere der Festschreibung – „ich
muss flüssiger werden fliessender eine kontinuierliche veränderung“–
hin zu einer Ausweitung der Möglichkeiten: „der fall ist alles /
bildschnitt / was film ist“.
Auf diesem Weg gelingt eine deutlichere Beschreibung des Historischen, ohne
sich in die Niederungen des anbiedernden Chronisch-Chronikhaften begeben zu
müssen. Die Zeit erscheint im Rückspiegel, ähnlich wie in Edward
Bellamys phantastischem Roman „Looking Backward“ (1888), der wesentlichen
Einfluss auf den britischen Architekten Ebenezer Howard hatte, der wiederum
als einer der ersten Theoretiker dieses Feldes einen – von Wimmer partiell
integrierten – Gegenentwurf zur sich ausbildenden Stadt des industriellen
Zeitalters entwarf. Die Reflexion, erneut ein Spiel mit Spiegeln und Kaninchen,
wird hier zur Annäherung auf das Sich-Entziehende und zur möglichen
Aneignung historischer Begebenheiten: „Den Flanierenden leitet die Straße
in eine entschwundene Zeit. Ihm ist eine jede abschüssig. Sie führt
hinab, wenn nicht zu den Müttern, so doch in eine Vergangenheit, die umso
bannender sein kann als sie nicht [ausschließlich, T.B.] seine eigene,
private ist.“
ZEITPFEIL, unumkehrbar
Der zuletzt erschienene Romane „DER ZEITPFEIL“ betont, unter Bezug
auf eine Meldung im „Spektrum der Wissenschaft“, die Unumkehrbarkeit
der Ereignisse und die Linearität der Zeit, die hier zum Stillstand gefroren
scheint: „die zeit der handlung ist immer ein sechster november, ohne
jahresangabe. was immer geschieht, es ist in diesem augenblick verankert, diesem
punkt auf der zeitachse der irreversibilität.“ In einer Aneinanderreihung
von Möglichkeiten ereignen sich die Leben der Protagonisten, die in cuts
organisiert sind und gleichermaßen als Schnitte eines größeren
Ganzen und als eigenständige Teile verstanden werden können.
Eingriffe sind in diesem Text deutlicher spürbar, die versuchte Bewältigung
der mitunter widrigen Umstände ist klarer, doch der Roman ist nicht weniger
ein Spielzug als die anderen Werke Wimmers auch. Doch das Spiel selbst scheint
sich gewandelt zu haben. Es ist das unendliche – von Georges Perec entlehnte–
Puzzle, dem keine Begrenzungen mehr gesetzt sind und das in der randlosen, elektrischen
Stadt McLuhans seine Entsprechung gefunden hat. Das Verhältnis bliebe aber
noch genauer zu untersuchen, da, um Perecs Überlegungen zu folgen, dann
bereits alle möglichen Züge vom Produzenten bereits vorgedacht und
ausprobiert worden wären und es aber doch mehr als nur wünschenswert
wäre, die Anzahl der Wahlmöglichkeiten auch weiterhin zunehmen zu
lassen. Das in den Vorlesungen des Autors erwähnte, sich in Arbeit befindliche
Prosaprojekt „Die Membrane“ wird uns den Weg weisen, der hier eingeschlagen
werden soll.
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