Xaver Bayer
Und wenn es Abend wird, kaufen wir uns ein paar Flaschen Wein und fahren an
den Stadtrand, wo wir zwischen Nußbäumen betrunken zu Boden fallen.
Das ist der Sommer.
1.
Die Stadt und die Häuser. Die Fassaden der Häuser mit ihren Auslagen,
vor denen die Menschen kurz stehenbleiben, wenn sie am Abend nachhause gehen.
Das Tageslicht und die Dunkelheit.
Eine Welt, von der ich ausgehen muss.
Meine Abende sind lang. Ich gehe eine Weile im Zimmer auf und ab, dann setze
ich mich. Ich bleibe eine Zeitlang so sitzen.
Ich kann auf die Straße gehen, überlege ich. Ich kann auf die Straße
gehen und durch die Gassen schlendern. Ich kann mir irgendwo ein Bier kaufen
und mich auf eine Bank setzen.
Es ist alles ganz einfach.
Wenn M. noch am Leben wäre, würde ich ihn jetzt anrufen. Wir würden
uns in seiner Wohnung treffen, Musik hören und uns betrinken.
Ich denke, es gibt nichts Schöneres an so einem Abend, als sich langsam
von der Dämmerung und der Nacht umfassen zu lassen.
Der Spielraum an einem solchen Abend ist unbegrenzt.
Überall in meiner Wohnung liegen angefangene Bücher. Ich fange an
eines zu lesen, dann bemerke ich, daß ich nicht weiterkomme und lege es
beiseite. Ich überstürze mich.
Manchmal passiert es, daß ich plötzlich zu Bewusstsein komme und
merke, daß ich im Vorzimmer auf dem Boden liege oder an den Kühlschrank
gelehnt in der Küche sitze. Und ich weiß dann nicht, wie lange ich
schon dort sitze.
Aus dem Rhythmus dieser Tage bleibt mir nur eine Empfindungs-losigkeit zurück.
Eine Gegenläufigkeit spreizt sich in meinen Gedanken auf. Eine Art von
Taubheit, die mich mitreißt. Ein Niemandsland im Kopf. Und Bewegungen,
die so vorsichtig und behutsam ausgeführt werden, als würde ich mich
am Rand eines Abhangs befinden.
Ich kann auf die Straße gehen.
Doch die Tage sind vollkommen in ihrer Arglosigkeit. Wenn ich aufstehe, ist
es draußen noch dunkel. Ich setze mich an den Tisch in der Küche
und rauche eine Zigarette. Mein Mund schmeckt bitter, nach Schlaf, und mit dem
Geschmack der Zigarette kommt mein Misstrauen gegen den Tag hervor. Ich trinke
einen Kaffee, selten esse ich etwas.
Ich verlasse die Wohnung mit einem Körper, der vom Schlaf noch schmerzt:
Von nun an trete ich den Tag vor mir her wie eine leere Dose.
Und jeden Morgen dieselben hingefetzten Häuser und Straßen. Die Opferscharen
an den Verkehrsknotenpunkten. Der Mann, der täglich an derselben Stelle
auf den Zug wartet. Derselbe Zeitungsverkäufer an derselben Ecke, jeden
Morgen, und der Behinderte, der im Zug immer auf demselben Platz sitzt: Infrastruktur.
Aber das war einmal.
Seit M. tot ist, bin ich aus diesem Gefüge ausgestoßen, habe mich
ausstoßen lassen, habe mich also dem widersetzt, was mir eine Zeitlang
noch der letzte Rückhalt zu sein schien. Wenn ich heute manchmal dieselben
Wege wie damals gehe, dann nur mehr mit der Gewißheit, im Danebenher zu
leben, in einer anderen Zeit und einem anderen Tempo.
Ich habe nichts zu tun, sage ich mir. Ich habe ausgesetzt.
Und was meine Gedanken anbelangt, so lasse ich sie ungestört wildern. Ihr
Terrain ist verlassen.
Manchmal, im Sommer, bleibe ich vor den offenen Fenstern stehen, aus denen
Musik kommt. Ich habe leichte, weiße Hosen an, gehe frei-händig und
bleibe, wo es mir gefällt.
Und wenn es Abend wird, kaufen wir uns ein paar Flaschen Wein und fahren an
den Stadtrand, wo wir zwischen Nußbäumen betrunken zu Boden fallen.
Das ist der Sommer.
Sommer ist es auch, an Nachmittagen mit einem Buch in einem Gastgarten zu sitzen
und sich langsam nüchtern zu trinken, geblendet von den überstrahlten
Buchseiten. M. neben mir, die Kamera achtlos über die Lehne gehängt,
auch lesend oder nur den schönen Frauen nachblickend.
Turn the ugly light off, god,
I wanna feel the night.
Everyday it shines down on me,
Don´t you think that i see.
Don´t you think that i see,
What it´s all about?
Hard to look the other way,
While the world passes me by,
And everyone ist tryin´ to bomb me out.
(Auszug)
[kolik ]