Sabine Scholl
HOTEL ZUR GRÜNEN HÖLLE
I.
GEHEIME AUFZEICHNUNGEN MARINAS
In denen sie ihre Reise zum und vom Hotel zur Grünen Hölle beschreibt,
wo sie Sepp, den Aktivisten von Globo 2002 trifft, der sich Zé nennt.
Ich stammle, bereite mich vor, was könnte ich sehen? Ein Dorf, eine Federkrone,
ein Singen, das vom Kopf ausgeht, frischer Lehm vom Fluß, Männer
Hand in Hand, ein Lied, die sonnigen Federn, die fliegenden Flammen, die Frau
im Hintergrund, gespannt mit einem Kind, und der Schmuck am Kopf bedeutet die
Welt, vornüber und der Schaft, der ihn trägt, das Seil. Und vor der
Hütte ein Gesang, die Frau hält ein Kind im Vordergrund, und Hand
in Hand mit roten Bändern an den Knien, schreiten sie voran, wie die ersten,
die vom Himmel stiegen, wie das Schilf, wie ein Dachboden über der Hütte
aus Lehm, den Köpfen der Männer, die Trockenzeit setzt ein, und Männer
gehen rund ums Dorf.
Auf der ersten Etappe der Reise hielt ich mich zurück. Ich wollte nicht
Zé beobachten, sondern mich aufs Wasser konzentrieren, das uns trug.
Ich konnte nie genug kriegen davon. Ich mochte die feuchte Hitze lieber als
den trockenen Wind der Wüste, der brannte auf der Haut. Die Wärme,
die mich umhüllte, dumpfe Luft sog ich ein am Boot und durch die Poren
trat das Wasser wieder aus. Und ich fühlte mich belebt, wenn morgens über
dem Wald die Nebel aufstiegen in den Farben Sand und Gold. Schweiß legte
sich an meine Haut, beim Frühstück mit Kaffee aus klappernden Metallbechern
glänzte ich schon. Noch wollte ich unerkannt bleiben. Doch ich wußte
nicht genau, wie sich verhalten am Schiff als Frau allein. Denn innen war ich
fremd. Man sollte nicht bemerken, daß ich aus dem Norden Amerikas kam.
Meine braune Haut und mein dunkles Haar, die Farbe meiner Augen, all das stand
nicht im Gegensatz zu den anderen Gesichtern am Schiff. Nur daß ich allein
reiste, mußte auffallen. Und so schloß ich mich scheinbar einem
Trupp von einheimischen Frauen an, die kochen wollten für die Goldsucher
im Inneren des Lands.
Von Globo 2002 habe ich nie viel gehalten, ein grüner Friedensplan, der
über den Weg des Krieges führt. Und ich habe Zé auch gesagt,
daß ich nicht glaube, daß er weiter kommt, solange er nur schwärmt
oder klagt. Er ist ein Mann, der geradezu herausfordert, daß man ihn reizt,
herumdreht, beanstandet, einer, der seine angelernten Waffen streckt, sobald
man seine Leuchte in den Zweifel zieht.
Zés lange, dichte, dunkle Wimpern. Man meinte, seine Augen weinen zu
sehen, obwohl er sich zurückhielt, das hatte er gelernt. Auch Zés
Haar war dunkel und fest, doch man spürte seine blonde Herkunft. Der Vater
war hell, sagte Zé, aber die Mutter stärker. Schwer zu sagen, was
Zés Gesicht bestimmte, nachdem ich wußte, daß es nicht sein
echtes war nach der Operation.
Es wirkte rund. War früher plump wie ein Mond, sagte Zé, seine Lippen
schienen fest und dick. Waren sie immer, sagte er. Und seine Nase breit mit
dem starken Sattel. War früher schmal, sagte Zé, kennst du diese
Alpennasen, wie dünne, scharfe Klingen stoßen sie aus knochigen Gesichtern.
Die war von meinem Vater, sagte er, und nun benutze ich eine Nase dieser südlichen
Region.
Auf meiner zweiten Fahrt, mit dem kleineren Schiff benötigte ich einen
Begleiter. Deshalb hatte ich in Lilians Urwaldhotel, einem Treffpunkt für
Forschungsreisende in Sachen Gold, Wald und Religion, Zé als ungefährlichen
Mann gewählt. Er würde nichts verlangen von mir, mit ihm käme
ich zurecht.
Lilian mit einem grauweißen Helm, Pagenkopf aus einmal hellbondem Haar,
nun ausgedünnt und müde vom Schwitzen, doch noch glänzend von
der Feuchtigkeit. Gute Haartage.
Auch ihrer Haut tat die Schwüle nicht schlecht, wenige Falten, aber viele
kleine braune Flecken über Gesicht, Hals, Ausschnitt, Arme verteilt, was
sie sehen ließ von ihrer Nacktheit und nicht verpackte in dem hellbraunen
Khakikleid, das noch aus ihrer Expeditionszeit zu stammen schien. Lilian hatte
ihre großen Tage in ihrem Körper erhalten, lebte das vollkommene
Bild davon den wechselnden Besuchern vor.
Die Zimmer im Hotel zur Grünen Hölle, mit seinen glatten, blau gekachelten
Böden, saubergehalten von Leni, dem Hausmädchen, waren billig. So
konnte man auch die moderfleckigen Wände ertragen, die gerahmten Kalenderblätter
mit deutschen Ansichten, eine Nachttischlampe, waghalsig verkabelt, ein quietschendes
Metallbett mit schlaffer Matratze, feuchtschwere Wolldecken, die die Nachtkälte
an den Körper preßte, anstatt zu wärmen, sodaß ich wachgehalten,
sehnsüchtig wieder auf die Sonne des nächsten Tages zu warten begann.
Aber Leni war freundlich und Lilian anscheinend interessant, hatte ich anfangs
gedacht, als ich Zé mit dem Mikrophon hantieren sah.
Mir öffnete er sich auch gleich, fing an zu erzählen von seiner Organisation,
halb verschlüsselt vorerst, indem er von seiner Kindheit sprach und seinem
Jahr in der Antarktis. Es klang wie die Berichte vom Militär. Doch mir
gefielen die Geschichten vom Land im Eis, während wir die ärgste Hitze
durchquerten. Sie kühlten besser als die Würfel in unseren Getränken
und erinnerten mich an die kalten Winter von Chicago, die Stadt meiner Herkunft.
In Mau angekommen wollte ich mit ihm tiefer in den Wald hinein. Die Boote, die
uns mitnahmen, wurden immer kleiner. Schließlich waren wir nur mehr vier.
Ich, Zé, der Bootsmann und ein Träger durchstachen schneeweiße
Türme aus Wolken, die die Sonne vor uns immer wieder erzeugte. Der Bug
unseres Bootes sprang knallend über lehmiges Gelb. Denn wir steuerten auf
das Ufer zu, den grünen, niedrig gewachsenen Saum des Waldes. Das Boot
schoß in die Wasserpflanzen hinein, Heuschrecken spritzten davon. Der
Motor erstarb. Leise glitten wir ins schwüle Innere und waren bald durchnäßt.
Der Stoff unserer Kleidung klebte an der Haut. So störte auch das Gewitter
nicht, dessen Regen plötzlich auf uns fiel. Rudernd pirschten wir tiefer
hinein. Dann verließen wir das Boot und setzten unseren Weg zu Fuß
fort. Ein Pfad war mit freiem Auge nicht zu erkennen. Nur der Führer fand
ihn. Wir befanden uns in seiner Hand. Zé ging mit ihm und dem Bootsmann
voran. Mit Macheten hackten sie einen Gang aus dem dicken Unterholz. Obwohl
ich nur kleine Äste abschnitt und zurückbog als Letzte, gingen nach
einer Stunde schon Blasen in meinen Handinnenflächen auf. Meine Füße
waren geschwollen, meine Finger voller Dornen und meine Arme und Beine von Insektenbissen
rot. So hatte ich mir die Suche nach den Wurzeln nicht vorgestellt. Nichts war
einfach, sobald man die dunklen Mauern des Urwalds betrat, den langen, grünen
Gang voll Durcheinander und Geruch. Man fühlte die Wut des Entdeckers auf
eine Welt, die er enthüllen will und die trotzdem niemand sehen kann als
nur er selbst.
Über unseren Köpfen wechselten Fledermäuse von Baum zu Baum.
Sie konnten nicht stillhalten, sobald wir uns näherten. Abends, nach zehn
bis zwölf Stunden Marsch und erschöpft auch von der Ungewißheit,
sank ich in einen Schlaf, der mich bald wieder verließ. Die Geräusche
des Waldes machten mir Angst. Ich war in einer riesigen Stadt aufgewachsen mit
den Vögeln Chicagos. Große Tiere kannte ich nur aus dem Zoo. Und
hier umgab mich die Natur mit bestimmender Macht. Und ich fror. Die kalte Feuchtigkeit
der Kleider kroch mir in die Knochen.
Frühmorgens sah ich einmal eine Fledermaus kopfüber aufgehängt.
Die Urwald-Vögel fingen in der feuchten Dämmerung an zu singen. Und
während ich versuchte, verschiedene Arten zu erkennen, klagte Zé
über ihr Verschwinden, wieviele Tierarten pro Tag pro Quadratkilometer
sich auflösten ins Nichts. Ein Rückschritt der Evolution, erklärte
er, menschliches Verderben, während auf den Ästen über seinem
Kopf ein verbliebener dottergelber Vogel seine Schwingen in die nasse Luft trug.
Später während des Tages vernahmen wir ein leises Geräusch am
Grund des Waldes. Unser Führer hieß uns schnell auf einen Baum klettern,
und das merkwürdige Rascheln schob sich näher heran. Blätter
gerieten in Bewegung, und dennoch spürte man keinen Wind. Alles was kroch,
war auf der Flucht vor Räubern. Rette sich, wer kann. Das leise Knistern
der Insektenleiber begleitete ihren Gang zum Krieg. Der blinde, nur auf Angriff
und auf Beute programmierte Trieb kennt keine Angst. Die Ameisen dringen in
Bauten. Sie überfallen kunstvolle Nester und rauben die Brut. Und für
jeden Toten stehen hundert andere auf.
Ein einzelner Soldat verfügt über keinerlei Individualität oder
gar Intelligenz im herkömmlichen Sinn, sagte Zé verheißungsvoll.
Nur alle zusammen sind ein Lebewesen an einem höheren Ort. Ein Soldat spielt
die Rolle einer Zelle in einem Verband. Angesichts solcher Durchtriebenheit
erscheint der Regenwald als riesenhaftes grünes Gehirn, schwärmte
Zé. Erst nach vier Stunden durften wir herunter von unserem Baum.
Ich fluchte auf die Mission, die mich in Sprachen und Religionen ausgebildet
hatte, nicht aber im Marschieren, im Behandeln der roten Ausschläge, im
Hungern und im Warten, in stechenden, kratzigen, bissigen Wesen. Das alles begegnete
mir auf dem Weg durch den Wald. Doch ich wollte dennoch weiterziehen. Nicht
nachlassen, sondern hinein. (Auszug)
[kolik ]