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László Garaczi

Bekenntnisse eines Lemuren

(Teil 1)

Meine Mutter möchte Lehrerin werden, landet aber als Sachbearbeiterin im Sekretariat des Generalstabes. Dienstwohnung in Budapest. Wir reisen oft zur Familie aufs Land, und es gehört sich, die verschiedensten Verwandten mit unangemessenem Eifer zu lieben. Fritz Takács, mein Busenfreund, kommt nur als Spielplatzgefährte vor, während ich diese Provinzbrut als meine allerliebste Verwandtschaft ans Herz drücken muß. Ich kann der Sprache dieser Meute nicht folgen und beobachte das barbarische Mysterium ihrer logisch nicht nachvollziehbaren Handlungen und primitiven Spiele mit wachsender Verzweifelung. Sobald wir uns Lajosmizse nähern, beginnt meine Mutter allmählich, volkstümliche Ausdrücke in ihre Sprache zu mischen, bei Cegléd sind ihr die Regeln des Akkusativs nicht mehr geläufig, und am Ziel angekommen, wird sie ohne jeden Vorbehalt wieder zur einstigen Tiefebenengöre. Gierig zähle ich die Minuten, bis sie wieder in das vertraute Vokalsystem der Hochsprache zurückfindet.
Ich liebe die Küken zu Tode, werfe die Taschenlampe ins Plumpsklo, und sehe zu, wie das Licht versinkt.
Das Katzenjunge wird aus meiner todbringenden Umarmung gerettet. Ich stehle eine Schachtel Zündhölzer und zünde den Fliegenfänger samt den zappelnden Fliegen an. In stilleren Momenten zerquetsche ich Raupen, schiebe Heuschrecken in den Arsch des Hundes. Ich nehme die Peitsche zur Hand und schlage gnadenlos Schneisen in die Fliegenlegionen, die Schutz unter dem Maulbeerbaum suchen.
So viele Tiere.
Friedvolles Lösen der Glieder nach dem Todeskrampf.
Das Wesen der Agonie zeigt sich darin, daß die Vieher versuchen, sich gleichzeititig zu krümmen und gegen den Himmel zu springen.
Es ist vielleicht kein Zufall, daß das Symbol der Ewigkeit eine Schlange ist, die sich in den Schwanz beißt, und ein Lebensbaum, hoch wie der Himmel. Die Schmeißfliege, der ich eine übergezogen habe, kommt mit zitternden Beinchen zu sich, sie wird sich der Dimensionen langsam wieder bewußt, weiß, wo oben und wo vorne ist, hebt dabei schon ihre Flügelchen und spinnt Pläne, dort, unter dem braunen Schatten der ledernen Fliegenklatsche.
Und zack!
Die anatomischen Details interessieren mich nicht. Was mich reizt, ist das Geheimnis des Todestanzes, ich vermochte die zerquetschten, auf dem Rücken liegenden Kadaver nicht lieb zu gewinnen. Der matschige Tod, der kein Rätsel offen läßt. Ein Stück glitschiger Erde, das nicht im Entferntesten an diese verspielte kleine Fliege erinnert, die eben noch auf meinem Handrücken ihre feingeäderten Flügelchen putzte.
Das Innenleben interessiert mich nicht.
Ein Fuchsschwanz, auf dem Boden Hobelspanlocken, sie sehen aus, wie die Haare der Puppe Csilla.
Und da ist noch Onkel István, ein Kossuth-Preisträger wie er leibt und lebt, ein mit dem Kossuth-Preis ausgezeichneter Traktorist, er wurde während der Nachkriegswirren ausgezeichnet, hat den Orden aber niemandem gezeigt, ja nicht einmal darüber gesprochen. Erst später erfuhr ich, daß er ein mit dem Kossuth-Preis ausgezeichneter Traktorist ist, weil alle anderen es auch verheimlicht hatten, zumindest vor mir, ich weiß heute noch nicht, weshalb, vielleicht weil er so heruntergekommen war, dabei war er das gar nicht, er saß nur auf der Veranda herum und nuckelte am sauren Pantschwein und dem Fusel. Er war der erste Kossuth-Preisträger. Bis auf Widerruf gültig. Wenn ein Traktorist sich als unwürdig erweist, wird ihm der Kossuth-Preis aberkannt. Diese verdammten Roten haben sich den Kossuth-Preis wieder geholt. Er flucht mit gefletschten, nikotingelben Zähnen, hetzt den Truthühnern mit ihren purpurnen Kröpfen im Käfig johlend hinterher. Ein grobschlächtiger Alter. Ich fürchte und ich liebe ihn. Truthahn, Pfau, miau, miau. Auch meine Eltern hüllen sich in Schweigen, sie schämen sich für den einst berühmten, jetzt berüchtigten Verwandten.
Wir lassen auf dem Rübenfeld am Ortsrand Drachen steigen.
Ich spezialisiere mich auf Libellen und sehe zum ersten Mal einen toten Menschen, Onkel Farkas, in dessen Garten Igel leben. Mama würde es sicher nicht erlauben. Aufbahrung in der schönen Stube, man hat ihn fein angezogen, ich muß mir sein Gesicht merken.
Ich sehe eine Libelle, ein Weibchen, ein riesiges, brummendes Insekt am Weinberg. Wenn ich mich anschleiche und sie schnappe, während sie zu Boden schwebt, beißt sie mir vielleicht den Finger ab oder reißt mich mit in den Himmel. Der Sturm holt mich ein. Ich trete mit aller Kraft in die Pedale, das Rad bleibt in einer Furche hängen, ich stürze, blutiger Regen rinnt an meinem Oberschenkel herab. Taumel. Kaum bin ich zu Hause, scheint wieder die Sonne. Ich säubere die Wunde am Pumpbrunnen, klemme einen Kieselstein unter den Hebel, damit das Wasser ohne Unterbrechung fließen kann. Hätte ich es darauf angelegt, wäre mein Blut einfach davongeronnen, eine Zeitlang legte ich es darauf an, ich drückte fest an der Wunde.
Warmes Wasser wird in einen Kessel geschüttet, ich bade mit Monika, der Enkelin von Onkel Farkas. Sie streift ihr rosa Höschen ab, da ist gar nichts. Hitze, kein Blatt bewegt sich, die Tiere dösen im Staub. Ich bin auch kein Feigling, streife mein Höschen auch ab und zeig ihn ihr, meinen Pimmel. Wir betrachten uns gegenseitig. Im Wasser strampeln Bienen um ihr Leben, Onkel Farkas züchtet diese Tiere hinten im Garten, er zieht sich eine Kapuze über, und wenn wir im Weg sind oder zu frech, drückt er uns eine Arbeiterin zwischen die Rippen. Ihre Leute scheinen Lunte gerochen zu haben, denn von da an verbieten sie Monika herüberzukommen, um mit dem Pester Verwandten der Simonyis zu spielen. Der Verwandte aus Pest. Auf dem Schlagerfestival gewinnt die Nummer Alles Gute, Monika! einen Preis, meine Verbitterung, meine Einsamkeit und meine Gier nach Rache sind unbeschreiblich. Ich schreib' dir, und vergiß nicht zu antworten!
Heuschrecken fangen und zerbeißen.
Onkel István hebt den Lauf des Gewehrs, wir schauen uns an, der Pisti und ich. Was jetzt? Weit und breit keine Krähe zu sehen, die Krähen sind zu Hause geblieben, da fällt ein winziges Spatzenjunges herunter auf die Straße. Wir stehen stumm da, mein Onkel, der Kossuth-Preisträger, flucht, schleudert die Kanone in den Geräteschuppen und schlurft mit dem Weinheber in den Keller hinunter.
Wir stecken ein Kreuz aus zusammengebundenen Zweigen auf das Grab des Opfers, sprechen ein Gebet für sein Seelenheil, stehen da, leise schluchzend, der Pisti und ich, es ist gar nicht lange her, daß Onkel Farkas begraben worden ist.
Tante Liese markiert die Reihen mit einer Schnur, steckt Setzlinge in die Erde, den ganzen Tag in gebückter Haltung. An Freitagen befördert sie riesige Krautköpfe mit einem Leiterwagen auf den Wochenmarkt. Onkel István sitzt in gerader Haltung auf der Bank, läßt dicken Rauch aufsteigen, er ist ein Kossuth-
Preisträger.
Wo heutzutage Taxis mit gelben Kennzeichen stehen, ließen einst muskulöse Pferde ihre Roßäpfel fallen. Übermütig schaukelten wir sonntags im Fiaker ins Kino. Der Kutscher nahm die Peitsche aus der Halterung, schnalzte, und die Pferde setzten sich laut furzend in Bewegung. Wir wieherten vor Entzücken, die Pferde pupsten und Tante Liese sagte kein Wort, Sonntag. (Auszug)

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