Lucia Leidenfrost
gefangen spielen
viele sind gestorben im krieg, aber nicht nur im krieg. der Edi Holzapfel ist in der
freiwillgen feuerwehr verblutet, im gebäude, mein ich. der war eingesperrt und
erst wie er zu stinken angefangen hat, ist aufgesperrt worden. davor wär dem schon
noch zu helfen gewesen. der war ja nur angeschossen.
unseren kindern konnten wir nicht von den radiomannderln erzählen, die die anderen
kinder alle kannten. im radio sitzen mannderl und sprechen die nachrichten
und machen musik.
und wie geht das mit der musik? ja dann, dann ist im radio ein ganzes orchester
mitsamt kleinen instrumenten, auf ihren kleinen instrumenten spielen die kleinen
radiomannderl den walzer!
deshalb hab ich meinen söhnen häuser gefangen.
von Wels nach Linz ist es nicht weit und von Linz nach St. Valentin und von dort
nach Mauthausen, alles nicht weit, alles nur ein katzensprung.
anstatt der radiomannderl ging das häuserfangen so: ich hab meine hände vors
fenster gehalten und meinen kopf ganz nah, wenn wir mit dem zug nach Linz
oder so gefahren sind und hab mit der hand nach den häusern geschnappt und da
hatte ich sie dann in meiner faust.
der Edi Holzapfel hat sich versteckt, der wollte nicht einrücken. der war kein kommunist,
arier, wie wir alle im ort, der wollte einfach nicht an die front.
am anfang haben wir nicht gewusst, was nicht richtig mit unseren söhnen ist, aber
später haben wirs verstanden. zwei kinder sind uns gestorben, noch vor dem krieg.
ich hab meine söhne dann versteckt. sie haben nicht richtig gehört.
ich hab meine hand so vors fenster gehalten, und wenn die häuser in meiner hand
waren, dann hab ich sie ganz schnell zugemacht und da waren dann die häuser in
meiner faust. da drin, hab ich meinen söhnen gezeigt, da drin sind jetzt die häuser.
das war alles lange nach dem krieg.
der eine hat gar nichts gehört und der andere ein bisschen und weils zwillinge
waren, hab ich zu meiner frau gesagt, dass das nicht geht, dass wir sagen müssen,
dass uns die zwei auch weggestorben sind, dass wir keine kinder mehr haben.
der Edi hat sich gute zwei jahre verstecken können. ich hab ja als apotheker nicht
in den krieg müssen. der ist als landstreicher dann herumgezogen, aber immer in
der nähe gewesen. wahrscheinlich hat er sogar seine schwester manchmal besucht.
von Wels bis Linz und nach Linz sowieso, da hats andere häuser und wir sind mit
unseren söhnen nach Mauthausen gefahren, damit sie sehen, dass sie überlebt
haben, damit sie wissen, warum sie fünf jahre nur uns gehabt haben.
ich weiß nicht, aber der Edi hat sich auch nicht aus christlichen gründen dagegen
gestellt, weil er ein zeuge war oder was anderes, der hat das einfach aus überzeugung
gemacht, der wollte einfach nicht in den krieg und damit basta und dann hat er sich
eben verstecken müssen. dabei ist er aber gegen schluss übermütig geworden.
als wir das grab aufgelassen haben, und unsere söhne endlich wieder herausgekommen
sind, da ist die Holzapfel, die schwester vom Edi, doch mal zu uns
gekommen, in die apotheke. sie hat mir den brief hingelegt, den sie an die gestapo
geschrieben hat, aber nicht mehr abgeschickt vor kriegsende. da, hat sie gesagt, der
ganze ort hat von deinen kindern gewusst und vom Edi hat auch jeder gewusst. und
hätten nicht alle drei –
der Edi wäre vielleicht auch gern eins von den radiomannderln gewesen, als er
sich zwei jahre lang versteckt hat. ich hab mir oft gewünscht, dass unsere kinder
so klein werden könnten, leise bleiben könnten, wie die radiomannderl und mit
einem knopf zum still sein gebracht werden.
im mai 40 haben wir unsere söhne begraben, zwei kleine leere särge, sie waren
damals drei jahre, meine frau hat sogar wirklich geweint. vielleicht weil sie gewusst
hat, wie das jetzt wird, die nächsten jahre.
weil die andern kinder alle nicht mehr zurückgekommen sind und weil ich auch
was gelesen gehabt habe, deshalb haben wir unsere kinder versteckt und niemanden
mehr eingeladen zu uns und wenn die beiden geschrien haben nach ihrem begräbnis,
dann haben wir ihnen die münder zuhalten müssen. weil, auch wenn das
jeder immer denkt, nur weil einer taub ist, ist er nicht gleich auch stumm.
die schwester vom Edi ist hat ein krankes kind gehabt, die hat oft zu uns in die
apotheke müssen. sie hat nicht gegrüßt, hat die medikamente immer ganz genau
angeschaut, hat den zettel vom arzt mit den medikamenten verglichen und hat
sich weder bedankt noch verabschiedet. sie hat mir einfach den zettel auf den tresen
gelegt. ich hab mir gedacht, dass ich ihr einmal die falschen tabletten in die
richtige schachtel legen werde, habs aber doch nie gemacht.
wir haben keine radiomannderl gebraucht für unsere kinder, wir haben immer
häuserfangen gespielt, aber als wir da nach Mauthausen gefahren sind, da haben
plötzlich blumen in meiner hand geblüht. wir sind mit den kindern nach Linz
gefahren, haben uns wurstsemmeln gekauft, und dann sind wir umgestiegen in
den zug nach St. Valentin. wir sind dann aber nicht, wie die kzler, zu fuß nach
Mauthausen, sondern mit dem bus. es war ein schöner ausflug.
wir haben den Edi Holzapfel gejagt, eine treibjagt habe ichs genannt, wie ich sie
alle zusammen getrommelt habe. im märz 45 hab ich einen tipp bekommen, wo
er sich befindet. die hunde waren scharf abgerichtet und wir haben vom pferd
herab mit dem schrot auf ihn geschossen. als er mich erkannt hat, hat er gerufen:
Alois, denkst nicht an deine kinder?
da drin, hab ich meinen söhnen gezeigt, da drin sind jetzt die häuser und die
bäume, und meine söhne haben auf meine faust geschaut und drauf gewartet, dass
ich sie endlich öffne. ein großes haus, hab ich gesagt und viele kleine bäume und
in dem haus, da wohnen menschen drinnen und sind glücklich und essen und
spielen, während wir unsere wurstsemmeln haben und auch glücklich sind, weil
wir alle überlebt haben. wie ich die hand geöffnet habe, waren lauter kleine schlüsselblumen
in meiner hand aufgeblüht.
als er schon ziemlich verwundet war, haben wir ihn in der freiwilligen feuerwehr
eingesperrt und das blut ist beim tor heraus gesickert. einen hab ich abgestellt,
damit niemand die tür aufbricht. wir haben die feuerwehr zugesperrt gelassen,
bis der Holzapfel Edi zum stinken angefangen hat.
[kolik ]