Elfriede Gerstl
alle tage gedichte
neuerliche enteignung?
I
am tag rutscht mir die zeit so schnell vorbei
nachts sollt ich schreiben - wenn ich eh nicht schlafe
verleger warten schon recht unzufrieden
angst ärger krankheit kümmern keine sau
ausser als ware aufbereitet
und in texten steckend
nichts soll mir mehr gehören
nicht erinnerung
an eine erinnerung von kindheit die verseucht von terror
dem äusseren von krieg und naziherrschaft
dem inneren von familiärem wahnsinn
II
mitunter geht mir morgens schon die muffn
der nacken schmerzt - die zahnbehandlung droht
nachdem sie achtzehnmal verschoben worden
wo die phobien wohnen und der kummer nistet
sind alk und pülverlein nicht allzu fern (weit)
so viele freunde sind schon tot oder am sand
in meiner hand liegt es mir trost zu wählen
vorsichtig schluck ich was ich mich grad trau
bin ich halt eine feige sau
die tepperte gewohnheit
gern im bett zu schreiben
rest aus der zeit wo mir kein eckerl eigen
kein tisch kein kastl - gar kein ruheort
jetzt ist die wohnung vollgestopft
mit büchern und mit kleidern
zum teil in säcken schachteln koffern
so wiederhole ich die zeit der flucht
die zeit der armut
in der s nicht üblich war was wegzuschmeissen
mit angst und krankheit falsch (meschugge)
umzugehen
hab ich noch immer nicht so ganz verlernt
als würde einer jahrelang noch weitertrippeln
nachdem die fesseln von den füssen
längst ihm abgenommen
25. märz 1998
[kolik ]