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Krista Kempinger

scherbenkind


Kornblumen legt er vor meine Tür, grimmige venezianische Harlekinpuppen, Grabkerzen, Glückwunschkarten und stapelweise wüst bekritzelte Zettel. Seit langem ist er hinter mir her, ein vollkommen Fremder. Sobald ich aus dem Haus trete, taucht er auf, läßt sich nicht abhängen. Wohin ich auch gehe: er bleibt an meine Fersen geheftet. Heute in verschlissenen Hosen, morgen im Maßanzug, Kreation Calvin Klein. Ich habe ihn mir angesehen, sogar genau, aber ich kann ihm kein Gesicht, keine Stimme geben. Er ist Feind meiner Schritte. Drei Leben hat er mir schon geraubt: den Rhythmus, die Farben, die Augenblicke. Nacht für Nacht heule ich Rotz und Wasser. Mein Puls jagt, überschlägt sich. Und ich kann meinen Mund nicht mehr finden. Der Mund ist fort. Friedhofsruhe an der Stimmritze. Mein Mund ist fort, und mit ihm Klangfarbe, Laut, Signal.
Dafür holt Alpdruck mich ein: daß ich das Tiefkühlfach öffne, um die gefrorenen Zwillinge zu befreien aus brüchigen Eisblöcken, doch das eine Mädchen gleitet mir aus den Händen und zerschellt auf dem Klinkerboden …
Er verfolgt mich durch alle Zeiten; angekommen im Mittelalter sehe ich ihn an Bord eines Schiffes, das am Salzgries vor Anker geht.
Auf der Müllhalde vergrabe ich meine Habe. Ich zähle die Sonnenstunden, weiß, daß er da ist.

[kolik ]