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Lydia Mischkulnig

Zur Linde

Auf Knopfdruck einen Wert zu schaffen gelang mir, als ich meinen Ehemann Robert kennenlernte. Wir waren zu einem Kongreß eingeladen und auf derselben Etage des Schloßhotels untergebracht. Er kannte die Gegend aus seiner Kindheit und war schon mit der ersten Ehefrau des öfteren zum Langlaufen angereist und im Schloßhotel eingekehrt. Deshalb wollte ich nicht unsere erste Nacht im Schloß verbringen.

Da ich mit Pierre, meinem Mathematiker aus Paris, diesen Ort schon erkundet hatte, wo einst Wittgenstein Schüler ohrfeigte, war auch mir der Landstrich des Wechselgebietes bekannt. Zumindest erinnerte ich mich an das berühmte Gasthaus „Zur Linde“, wohin wir das Quartier verlegten.

Das Gasthaus „Zur Linde“ wird vom Stamm einer 500 Jahre alten Linde gestützt. Man könnte auch meinen, das Haus stütze die Linde. Das Blätterdach breitet sich im Sommer über die Terrasse aus. Der Stamm ist so dick, daß die Borke aufgeschnitten werden mußte, damit die Linde nicht den Eingang zuwuchs. Diese Linde war eine Augenweide und Anziehungspunkt für den ganzen Ort. Wir rührten gerade Zucker in unseren Kaffee, als wir im Gang die schemenhafte Gestalt eines ganz schwarz gekleideten Mannes ausnahmen, der im Dunklen nach den Waschräumen des Gasthauses zu suchen schien. Sein weißes Haar schimmerte wie die Laterne verblühten Löwenzahns.

Robert und ich interessieren uns nicht so sehr für Kunst, doch war uns klar, daß dieser Mann das Charisma eines Künstlers hatte, und weil er ganz schwarz gekleidet war und weißes Haar trug und mit einem Bleistift wie mit einem Taktstock auf die Theke des Gasthauses klopfte, um auf sich aufmerksam zu machen, und wir Karten für die Staatsoper hatten, waren wir uns sicher, daß er Dirigent im „Zur Linde“ war. Er war von einer sehr selbstbewußten Blondine begleitet. Robert und ich taten unbeeindruckt, tranken Kaffee, bekundeten die Zufriedenheit mit dem Kuchen. Robert streichelte meine Hand, und ich erinnere mich, daß mich ein Schauer wohlig durchrieselte, als er am untersten Glied des Ringfingers mit seiner Fingerkuppe kreiste, als wolle er den mir bald geschenkten Diamanten vorfühlen. Als wir das Gasthaus verließen, hatte ich den berühmten Dirigenten schon wieder vergessen.

Tage später mußten wir in den Alltag zurück. Die gemischten Gefühle begleiteten uns beim Räumen des Gästezimmers. Sein Koffer, mein Koffer. Sie standen jeder abgeschlossen für sich nebeneinander, voll mit Schmutzwäsche. Zum Abschied und als Aufbruch in unsere Zukunft beschlossen wir, uns vor der alten Linde zu positionieren und ein Foto zu machen. Ich stellte die Entfernung und Brennweite ein, initialisierte den Selbstauslöser und vergewisserte mich, daß wir gut im Bild seien, wenn ich es nun schaffte, an Roberts Seite zu hechten und den rechten Arm um seine Schultern zu legen, ohne sein klares und freundliches Gesicht zu verdecken. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Gasthauses und der schwarz gekleidete Künstler trat mit einem Fernglas auf die Terrasse heraus. Er kam gerade recht. Unverblümt sprach ich ihn an, stoppte den Countdown des Selbstauslösers und bat den Mann um einen Gefallen, nämlich das Foto von Robert und mir vor der Linde zu schießen. Of course, sagte er unkompliziert und lächelte. Eng umschlungen strahlten wir in der Wintersonne, und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, daß auf dem Balkon des Gasthauses der Wirt stand und den Fotografen beim Fotografieren mit einer Hobbykamera filmte.

Das Foto wurde entwickelt, vergrößert und der Abzug eingerahmt. Robert hatte das Negativ verschmissen. Das Foto war nun ein Unikat und wurde sehr oft von Freunden bewundert. Ein Kunststück, weil es unsere Gestalten wie Abbildungen von Abbildungen aussehen ließ, wie auf keinem anderen Foto je zuvor, noch danach, wir waren zeitlos und unsterblich. Die Gesichter glatt, puppenhaft, künstlich, und mich hatte der Fotograf im Anflug eines Lächelns erwischt, so daß ich wie Mona Lisa aussah. Die Borke der Linde gab uns den Rahmen der Sicherheit für das Wachstum unserer Beziehung. Wir leuchteten im Einklang gegen die zunehmenden Jahresringe, die unsere vergänglichen Leiber überzeichneten. Doch eines Tages wird jede Liebe gefällt, verwandelt sie sich nicht in Fürsorge. Als wir uns von Bett und Tisch trennten, kam am Ende das Foto aufs Tapet. Robert beanspruchte es als seinen Besitz, dabei war ich der Usurpator. Ein heftiger Streit war angezettelt.

Wir rissen das Foto entzwei. Jeder bekam seinen Teil, und kein Wort mehr sprachen wir miteinander.

Beim Zahnarzt blätterte ich in Illustrierten und erfuhr vom Tod Helmut Newtons, studierte die Fotostrecken seines Werks. Als am Ende das Konterfei des Meisterfotografen abgebildet war, verschlug es mir die Sprache. Sein weißes Haar, das Charisma in den Augen, sein Künstlertum, der schwarze Rolli. Er war der Fotograf unseres Fotos. Die Recherche ergab, daß unser Foto von Helmut Newton einen unermeßlichen Wert darstellte. In meinen Ohren brauste die Stimme des Kurators, als er den Schätzwert nannte. Der Preis galt für ein unversehrtes Foto. Mir wurde schwindlig vor Augen, als ich den Geldberg im Riß der zerfetzten Fotografie versinken sah. Wir hätten uns einiges ersparen können, dachte ich nur. War es Wut oder die Gier, die mich aufstachelte und wieder an den Ort des Geschehens trieb. Ich packte meine Fotohälfte in Seidenpapier und in eine Mappe, die ich extra gekauft hatte, um mit ihr nach Kirchberg zu fahren.

Und siehe da, Robert hatte es auch erwischt, geradezu zeitgleich parkten wir unsere Autos beim Gasthaus „Zur Linde“, und beide traten wir mit den Fotohälften in Mappen unterm Arm über die Schwelle. Der Wirt empfing uns wie alte Freunde. Er war ein Fan von Helmut Newton und lud uns zu einem Leichenschmaus in memoriam des großen Künstlers ein. Schließlich rollte er im Hinterzimmer die Leinwand aus und führte seine privaten Filme vor. Er verstand sich als Hobbyfilmer mit experimentellem Anspruch. Der Schwenk über Helmut Newtons Gesicht entsprach dem langsamen Flug über eine von Falten durchwachsene Landschaft. Das Auge des Meisters schien unsere späte Erkenntnis zu schärfen, daß wir Filmgeschichte stifteten. Ich war ein wenig gekränkt, daß der Wirt uns nicht ausgiebig ins Visier genommen hatte, statt dessen uns als unbedeutendes Paar titulierte und Newton als schon zu Lebzeiten höchstdotierten Fotografen der Welt vergötterte. Immerhin waren wir sein Motiv.

Robert und ich wußten in diesem Augenblick, wonach uns war, auch er packte seine Hälfte aus, und wir beide fühlten uns verstanden. Unsere Vereinigung findet im Versuch, den Riß zu kitten und ungeschehen zu machen, statt. Darin liegt die Bedeutung der Phrase: einen Schatz bergen. Wir leben wieder zusammen. Ich kann sagen, Newton schuf den wahren Wert. Wir werden ihn zur Altersvorsorge verkaufen. Die Preise für Newton steigen. Wir warten, bis Risse die leidenschaftlichen Sammler nicht mehr stören. Wir haben Zeit, nichts geht schließlich über wahre Liebe.

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